Die Enden der Parabel
Gestalten stammen und immer wieder neu erstehen. Es würde ihm nichts ausmachen, selbst durch dieses Feuer zu gehen. Aber er ist gefesselt ans karmische Rad. Die glühende, orangegelb leuchtende Glasmasse ist Hohn, ist Grausamkeit. Für Byron gibt es kein Entrinnen, er ist verurteilt zu einer endlosen Folge von Fassungen und Birnendieben. Rein schleicht der junge Hansel Geschwindig, ein echt Weimarer Galgenstrick -schraubt Byron aus der Zimmerdecke, läßt ihn in eine weiche Tasche gleiten, und gesssschhhwindig! wieder raus zur Tür. Dunkelheit dringt in die Träume des Glasbläsers ein. Von allen
Niederträchtigkeiten, mit welchen seine Träume aus der Nachtluft nach ihm grapschen, ist ein ausgelöschtes Licht die schlimmste. Licht, in seinen Träumen, bedeutet immer Hoffnung: die fundamentale, sterbliche Hoffnung. Wie die Kontakte der Ge-windehelix spiralenförmig reißen, verwandelt Hoffnung sich in Finsternis, und der Glasbläser erwacht in dieser Nacht jählings und schreiend: "Wer? Wer?" Bei Phoebus bricht man deswegen noch nicht in Panik aus. Dergleichen kommt nicht zum erstenmal vor. Auch für diesen Fall sind Vorkehrungen getroffen. Sie bedeuten mehr Überstunden für einige der Angestellten, so daß sich jenes vage Behagen tief in den Eingeweiden einstellt, das Lotto-Dreier zu begleiten pflegt - verbunden mit einer gleichfalls vagen Irritation angesichts der Unterbrechung der Routine. Wer Wogen der Emotion hochgehen sehen will, ist falsch bei Phoebus in den Alpen. Suchtrupps mit ehernen Gesichtern werden nach Berlin beordert. Sie wissen ziemlich gut, wo in der Stadt die Fahndung einzusetzen hat. Sie gehen davon aus, daß keiner ihrer Kunden über Byrons Unsterblichkeit informiert ist. Also läßt sich das Datenraster über Diebstähle von nicht-unsterblichen Glühbirnen auch auf Byrons Fall anwenden. Und dieses Raster liegt am dichtesten auf den Armenvierteln, Judengettos, Drogen-, Homo-, Puff- und Wahrsagergegenden der Hauptstadt. Dort finden sich die logischsten Birnendiebe, gemessen an der Natur dieses Verbrechens. Ihr braucht euch nur die Propaganda anzusehen. Es ist ein moralisches Verbrechen. Phoebus entdeckte - eine der großen unentdeckten Entdeckungen unserer Zeit -, daß Konsumenten das Gefühl des Sündigens nicht entbehren können. Daß Schuld, in den richtigen unsichtbaren Händen, eine mächtige Waffe darstellt. In Amerika hatten Lyle Bland und seine Psychologen Daten, Expertengutachten und Geld (Geld im puritanischen Sinn-als äußerliches und sichtbares Okay zu ihren Absichten) genug zur Verfügung, um die Entdeckung der Schuld zum Konvergenzpunkt zwischen wissenschaftlicher Theorie und Empirie zu machen. Die Wachstumsraten der späteren Jahre waren ganz dazu angetan, Bland hier zu letzter Gewißheit zu bringen (zur allerletzten Gewißheit brachte ihn dann das Ehrensextett der Senioren von Salitieri, Poore, Nash, De Brutus und Short, vervollständigt durch einen ständig niesenden Lyle jr., die seinen Sarg zur Grube schleppten. Buddy hatte es im letzten Augenblick vorgezogen, sich Dracula anschauen zu gehen. Er war besser dran.). Unter allen Vermächtnissen, die Bland hinterließ, war die Birnendiebstahls-Häresie wahrscheinlich das ingeniöseste. Sie besagt nicht nur einfach, daß da jemand keine Glühbirne kauft. Sie besagt außerdem, daß dieser selbe Jemand eine potentielle Stromverbrauchsstelle leer und ungenutzt zurückläßt! Es ist eine Sünde vor Phoebus und vor dem Netz zugleich - und keiner von den beiden kann das durchgehen lassen.
So schwärmen sie also aus, die Phoebus-Späher, um nachdem geklauten Byron zu fahnden. Aber Galgenstrick Hansel hat Berlin schon längst verlassen und sich nach Hamburg begeben, wo er Byron an eine Nutte auf der Reeperbahn verhökert, um sich etwas Morphium schießen zu können - Kunde der jungen Frau in dieser Nacht ist ein Betriebskostenkalkulator, der sich gerne Glühbirnen ins Arschloch schrauben läßt, und dieser Macker hat außerdem noch etwas Haschisch zum Rauchen mitgebracht, weshalb er, als er wieder geht, völlig vergißt, daß Byron immer noch in seinem Arschloch steckt - er wird's auch nie erfahren, denn als er sich zum erstenmal wieder hinsetzt (den ganzen Heimweg über hat er in diversen Bussen stehen müssen), geschieht's auf seinem eigenen Lokus und plop! abmarschiert Byron ins Wasser und fluschhhhhhh! durch Rohre und Kanäle in die Elbe bis zur Mündung. Er ist gerade rund und klein genug, um alle Hindernisse auf dieser Reise zu
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