Die Enden der Parabel
überwinden. Tagelang treibt er in der Nordsee; bis er endlich diese rot und weiß ins Meer gekippte Napoleonspastete, bis er Helgoland erreicht. Dort bleibt er eine Weile in einem Hotel zwischen Hengst und Mönch, bis er eines Tages von einem hochbetagten Priester aufs Festland zurückgebracht wird, der Byrons Unsterblichkeit im Verlauf eines Routinetraums vom Geschmack eines bestimmten Hochheimers von 1911 spitzgekriegt hat... plötzlich im großen Berliner Eispalast, eine siedende, summende, eisenverstrebte Höhle, der Geruch von Frauen in den blauen Schatten - Parfums und Leder, pelzbesetzte Eislaufkostüme, Eisstaub in der Luft, fliegende Beine, schlängelnde Hüften, fiebrige Anfälle von Begehren, Hilflosigkeit und Taumel nach der Pirouette, Sprünge durch schräge Balken Sonnenlicht, erstickt von Eiskristallen, und eine Stimme aus diesem verschmierten Spiegel unter seinen Füßen, die spricht: "Du mußt ihn finden, der das Wunder vollbracht hat. Er ist ein Heiliger. Zeige ihn der Menge! Erwirke seine Seligsprechung... " Der Name steht auf einer Liste, die der alte Mann sogleich aus etwa tausend Touristen zusammenstellt, die Helgoland besucht haben, seit Byron am Strand gefunden worden ist. Der Priester beginnt seine Suche, per Zug, per pedes, per Hispano-Suiza, er überprüft jeden einzelnen der Touristen, die auf seiner Liste stehen. Aber er kommt nur bis nach Nürnberg, wo ihm sein Koffer samt dem in ein Chorhemd eingewik-kelten Byron von einem Transsektiten namens Mausmacher geklaut wird, einem Lutheraner, der sich gern in römische Meßgewänder schmeißt. Dieser Mausmacher, den es nicht befriedigt, nur allein vor seinem Spiegel zu stehen und papistische Kreuze zu schlagen, denkt sich, daß es ein wirklich bizarrer Kitzel sein muß, nachts in vollem Fummel aufs Zeppelinfeld rauszugehen und dort im Schein der Fackeln, aufs Geratewohl die Leute segnend, durch den Parteitagsaufmarsch zu wandeln. Grüne Fak-keln glühen, Hakenkreuze leuchten rot, Messing blitzt, und dazwischen Pater Mausmacher, der sich, Titten und Ärsche betatschend, Taillen und Klöten, 'ne kleine klerikale Weise auf den Lippen, irgendwas Flottes von Bach, breit lächelnd durch die Sieg Heils und Chöre von "Die Fahne hoch" schiebt. Ohne daß er's merkt, rutscht ihm Byron aus den gestohlenen Gewändern auf die Erde und wird im weiteren Verlauf des Abends von etlichen Hunderttausend Stiefeln und Schuhen im Marschtritt passiert, ohne dabei auch nur die geringste Schramme abzukriegen, klar. Am nächsten Morgen, da das Zeppelinfeld friedhofsverlassen daliegt, säulenumfingert, bleich, gestreift von langen Schmutzlachen, mit sich ausfasernden Morgenwolken hinter dem vergoldeten Hakenkreuz und Kranz, erscheint ein armer jüdischer Lumpensammler, der Byron findet und mitnimmt, mitnimmt zu weiteren fünfzehn Jahren der Bewahrung vor dem Zufall und vor Phoebus. Mutter auf Mutter wird er statt dessen kennenlernen, wie im Deutschen, aus einem Grund, den keiner ganz begreift, die negativen Gewinde, z. B. in Lampenfassungen, genannt werden.
Beim Kartell ist man inzwischen zum Eventualplan B übergegangen, der eine siebenjährige Verjährungsfrist vorsieht, nach deren Ablauf Byron als im juristischen Sinne ausgebrannt betrachtet werden wird. Währenddessen hat das Personal, das man von Byron abgezogen hat, bereits die Verfolgung einer anderen langlebigen Glühlampe namens Beatriz-die-Birne aufgenommen, die erst kürzlich auf mysteriöse Weise, während eines Indianerüberfalls, aus ihrer Fassung über der Veranda eines Armee-Außenpostens im Amazonasdschungel abhanden gekommen ist. All diese Jahre seines Überlebens hindurch scheinen die verschiedenen Errettungen von Byron ganz zufällig zu geschehen. Wo immer sich ihm die Gelegenheit dazu bietet, versucht er, die ihn umgebenden Birnen über die bösartige Natur von Phoebus und die Notwendigkeit einer gemeinsamen Solidarität gegenüber dem Kartell aufzuklären. Er hat erkannt, daß man sich als Birne nicht auf seine Rolle als Übermittler von Lichtenergie beschränken lassen darf. Phoebus hat die Birnen auf diese eindimensionale Identität zu reduzieren versucht. "Aber es gibt noch andere Frequenzen, über und unter dem sichtbaren Band. Eine Birne kann Wärme spenden. Eine Birne kann Pflanzen mit Wachstumsenergie versorgen, illegale Pflanzen beispielsweise, versteckt in Schränken. Eine Birne vermag das schlafende Auge zu durchdringen und in den Träumen der Menschen zu wirken." Manche Birnen hörten
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