Die Enden der Parabel
sie wirklich gibt, die anderen Unsterblichen dort draußen, so hüllen sie selbst sich jedenfalls in Schweigen. Doch es ist ein Schweigen, das vieles, vielleicht alles, sagt. So ist Byrons nächste Lektion, nach der Liebe, das Schweigen. Als sich seine Brenndauer der 6oo-Stunden-Marke nähert, beginnen die Überwacher in der Schweiz sich für Byron zu interessieren. Der Phoebus-Monitorenraum befindet sich unter einer wenig bekannten schweizerischen Alpe, ein kühler Felsenkeller, gerammelt voll mit bester deutscher Elektronik, Glas, Messing, Ebonit und Silber, breiten Eingangsterminals, zottig vor Kupferklemmen, Schrauben, Drähten, dazu ein Kader von sterilen, weißbemäntelten Aufsehern, die hell wie Schneeteufel von Meßpult zu Meßpult wandern und sich vergewissern, daß alles seine Ordnung hat, daß nirgends eine Birne Anstalten macht, die durchschnittliche Lebensdauer nach oben aufzuweichen. Man kann sich denken, was es für den Markt bedeutete, wenn so etwas in Mode käme.
Byron überschreitet die rote 6oo-Stunden-Linie auf den schweizerischen Skalen und wird sofort, ein Routinevorgang, auf Glühfadenwiderstand, Brenntemperatur, Vakuum und Stromverbrauch durchgemessen. Alle Werte sind normal. Von nun an wird diese Überprüfung alle 50 Stunden wiederholt werden. Ein sanftes Läutzeichen wird im Überwachungsraum erklingen, wann immer es soweit ist. Bei 800 Stunden - eine weitere Routinemaßnahme - wird eine Berliner Agentin in die Opiumhöhle entsandt, um Byron zu verlagern. Sie trägt asbestgefütterte Kitzlederhandschuhe und sie-benzöllige Stöckelabsätze, nein, nicht, damit sie in dem Laden nicht auffällt, sondern damit sie diesen Wandleuchter erreichen und Byron rausschrauben kann. Die anderen Birnen sehen mit kaum verhehltem Entsetzen zu. Die Neuigkeit verbreitet sich im Leitungsnetz. Mit etwas, das der Lichtgeschwindigkeit recht nahe kommt, wissen alle Glühlampen in ganz Europa, die Azos, die auf leere, schwarze Bakelitstraßen hinunterblicken, die Ni-tralampen und Wotan Gs über nächtlichen Fußballspielen, die Just-Wolframs, Monowatts und Siriusse, was geschehen ist. Sie schweigen, stumm vor Ohnmacht, unterwerfen sich im Angesicht von Kämpfen, die sie bisher ins Reich der Mythen verwiesen haben.
Wir können nicht helfen summt ihr gemeinsamer Gedanke durch die Weidegründe von schlafenden Schafherden, an Autobahnen entlang und bis zum bitteren Ende von Kohlenpiers im hohen Norden, wir haben nie auch nur das geringste tun können ... Kaum kommt mal einer und gibt uns einen Hoffnungsschimmer auf ein Weiterleben, auf Transzendenz - schon schnappt ihn sich das Komitee für Leuchtanomalien und zieht ihn aus dem Verkehr. Hier und da flackern vielleicht Proteste auf, aber alles bleibt Information, glühmoduliert und harmlos, nichts, das im entferntesten den Explosionen in die Gesichter der Mächtigen gliche, die sich Byron einst in seinem Säuglingshimmel, in seiner Unschuld, ausgemalt hat. Er wird nach Neukölln gebracht, in einen Kellerraum, in dem ein Glasbläser haust, der sich vor dem Dunkeln fürchtet und Byron ständig brennen läßt, um über all seine Bleiglasschalen, die Griffons und Blumenboote, die springenden Steinböcke, grünen Spinnennetze und düsteren Eisgottheiten zu wachen. Es handelt sich um einen von vielen sogenannten "Kontrollpunkten", an welchen auffällig gewordene Glühbirnen einer ständigen Beobachtung unterzogen werden können.
Keine zwei Wochen vergehen, und ein Gongschlag hallt durch die Eis- und Felsenkorridore des Phoebus-Hauptquartiers. Gesichter blicken kurz von ihren Skalen und Armaturen auf. Gongschläge hört man nicht gerade häufig hier. Ein Gong ist was Besonderes. Byron hat die 1000-Stunden-Grenze passiert, und was nun geschieht, ist genau geregelt: das Komitee für Leuchtanomalien setzt einen Zerschläger nach Berlin in Marsch.
Hier jedoch geschieht etwas Merkwürdiges. Ja, verdammt merkwürdig. Der Plan sieht vor, Byron zu zertrümmern und die Scherben - erst nach Entnahme des Wolframs natürlich - an Ort und Stelle einschmelzen zu lassen, um sie der Reinkarnation im nächsten Projekt des Glasbläsers (einem Ballon, der von der Spitze eines Wolkenkratzers aus auf die große Reise geht) zuzuführen. Das wäre gar kein schlechter Tausch für Byron - er weiß so gut wie Phoebus, wie viele Stunden er schon auf dem Buckel hat. Hier in der Werkstatt hat er oft genug beobachtet, wie Glas in jene amorphe Masse zurückverwandelt wurde, aus welcher alle gläsernen
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