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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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russischen, britischen, amerikanischen und französischen Fleischverschiebern, Runde um Runde durch die Mühle der Besatzung, lernt Huster und Gesichter wiederzuerkennen und Stiefelpaare an den Füßen neuer Besitzer. Wer keine Lebensmittelkarte oder kein Soldbuch hat, ist verdammt, weitergeschickt zu werden, immer in Paketen zu 2000, von Zentrum zu Zentrum durch die ganze Zone, vielleicht bis in alle Ewigkeit. Und so entdeckt Thanatz, irgendwo zwischen den Teichen und Zaunpfählen Mecklenburgs, daß er von gar nichts ausgenommen ist. In seiner zweiten Nacht auf den Schienen werden ihm seine Schuhe gestohlen. Er bekommt einen schweren Bronchialkatarrh und hohes Fieber. Eine Woche lang kümmert sich kein Mensch um ihn. Für zwei Aspirin muß er den Schwanz des zuständigen Sanitäters lutschen, der Geschmack gefunden hat am Gefühl von bartstoppeligen, fieberheißen Wangen an seinen Schenkeln, dem 40-Grad-Feuer des Atmens unter seinen Eiern. In Mecklenburg stiehlt Thanatz einem schlafenden einarmigen Kriegsheimkehrer einen Zigarettenstummel und wird eine halbe Stunde lang von Leuten geschlagen und getreten, deren Sprache er noch nie gehört hat und deren Gesichter er nicht zu sehen kriegt. Käfer krabbeln über ihn hinweg und lassen sich von seiner Anwesenheit kaum irritieren. Sein tägliches Brot wird ihm von einer anderen Displaced Person weggenommen, die kleiner ist als er, ihn aber anschaut, als hätte sie ein Recht auf dieses Brot, ein Blick, den Thanatz selbst bestenfalls schauspielern könnte -und so scheut er sich, auf diesen schmächtigen, in Lumpen gehüllten lederfarbenen Rücken einzuschlagen, auf diesen mampfenden Heuschoberkopf ... und andere beobachten ihn: die Frau, die jedem erzählt, daß Thanatz ihr kleines Mädchen in der Nacht belästigt (Thanatz kann ihr nie in die Augen sehen, denn er will's ja auch, will ja die viel zu weiten GI-Hosen runterziehen über den schmalen hübschen pubertierenden Hintern, seinen Penis zwischen die bleichen kleinen Backen stopfen, die ihn so sehr an Bianca erinnern, in die brotweichen Innenschenkel beißen den Kopf an den langen Haaren ziehen nach hinten Bianca bis sie stöhnt bis sie den Kopf hin und her wirft oh wie sie das liebt), und auch ein Slawe mit Augenbrauen wie 'n Käfer, der Thanatz gezwungen hat, für ihn auf Kippenjagd zu gehen, sobald abends das Licht gelöscht wird, ihm seinen Schlaf zu opfern, nicht so sehr für die reale Chance, eine Zigarettenkippe zu entdecken, als für das Recht des Slawen auf eben diese Forderung - der Slawe beobachtet ihn ebenfalls -, ja, ein ganzer Zirkel von Feinden hat mit zugesehen bei dieser Brotwegnahme und bei Thanatzens Versagen, es sich zurückzuholen. Ihr Urteil ist offensichtlich, eine Klarheit in ihren Augen, wie sie Thanatz früher, auf der Anubis, niemals bemerkt hat, eine Aufrichtigkeit, die er nicht ignorieren, nicht mit einem Achselzucken abtun kann ... endlich muß er hier, buchstäblich, mit seinem eigenen, wirklichen Gesicht, der Klarheit ins Gesicht sehen, dem wahren Licht des... Schritt für Schritt wird seine Erinnerung an diesen letzten Raketenabschuß auf der Heide deutlicher. Die Fieberanfälle polieren sie im Feuer, der Schmerz treibt Unreinheiten aus. Ein Bild kehrt immer wieder- ein schlammbrauner, fast schwarzer Augapfel, der die Silhouette einer Windmühle und ein ausgezacktes Netz von Zweigen spiegelt... die Türen an den Seiten der Mühle klappen schnell auf und zu, wie lose Fensterläden in einem Sturm ... auf dem Irishimmel steigt eine Wolke auf, geformt wie eine Muschelschale, tief purpurn an den Rändern, die Wolke einer Explosion, von etwas Ockerhellem tief am Horizont... weiter innen scheint sich das Purpur in ein Gelb zu verfasern, das immer heller wird, gelbe Eingeweide im Schatten eines Violett, das sich nach außen ausgießt, in einer bauchigen Kurve auf uns zu. Nun gibt's, komischerweise (nicht, um diese malerische Szene hier kaputtzumachen, aber, komischerweise), keine Windmühlen auf der Lüneburger Heide! Thanatz hat das selber noch mal blitzschnell abgecheckt, um auch ganz sicherzugehen, aber nix zu machen, keine Windmühlen, okay: Wie kann's dann sein, daß Bliceros Auge, wenn's in die Heide blickt, eine Windmühle reflektiert, hm? Tcha, um ehrlich zu sein, jetzt reflektiert es gar keine Windmühle mehr, es reflektiert eine Flasche Gin. Die's aber auch nicht gibt, draußen auf der Heide. Und es hat eine Windmühle reflektiert. Was geht da vor? Könnte es sein, daß Bliceros Augen,

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