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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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in welchen Greta Erdmann Landkarten seines Königreiches sah, für Thanatz die Vergangenheit widerspiegeln? Das wäre aber seltsam. Was immer sich auf diesen Augäpfeln abspielte, während du wegschaust, es wäre verloren. Du hättest nur Fragmente, dann und wann. Katje, über ihre Schultern zurückblickend auf frische Peitschenstriemen. Gottfried beim Morgenappell, der Körper wandervogelbiegsam, die Uniform vom Wind in knatterndem Flattern von der Astwölbung der Schenkel gezerrt, die Haare fliegend in der Brise, ein kesses Lächeln, schräg, der Mund leicht offen, das Kinn nach vorn gereckt, Lider gesenkt. Bliceros eigenes Bild in dem ovalen Spiegel, ein altes Gesicht - er will sich gerade eine Perücke aufsetzen, der Page der Drachendame, Stirnfransen und Innenrolle, doch er hält inne, blickt in den Spiegel, und sein Gesicht fragt was? was hast du gesagt? der fremde Haarschopf neben seinem Kopf, ein Stückchen tiefer, im dunklen Perückenschatten ein fast unsichtbares, anderes Gesicht... doch wenn du näher hinsiehst, beginnen die Knochengrate und Fettpolster hervorzutreten, ein eisglasiertes weißes Pulsen, eine von Hand gehaltene Maske auf den Schatten der Kapuzenhöhlung - zwei Gesichter blicken dich jetzt aus dem Spiegel an, und, Thanatz, wirst du über diesen Mann hier ein Urteil sprechen? Hast du, Thanatz, die Peitsche denn nicht geliebt? Hast du dich nicht nach dem Rascheln und Seufzen von Frauenkleidern gesehnt? Hast du denn nicht ein Kind ermorden wollen, das du liebtest, freudig ermorden etwas derart Hilf- und Schuldloses? Wie er hier zu dir aufblickt, in der letzten möglichen Minute, voll Vertrauen, lächelnd, seine Lippen schürzend zu einem Kuß, da schon der Hieb auf seinen Schädel niedersaust - ist das nicht das Beste von allem? Der Schrei, der dann aus deiner Brust herausbricht, die jähe, harte Ankunft des Verlusts, des endgültigen Verlusts, des unumstößlichen Schlußpunkts unter Liebe und Hoffnung... kein Leugnen dessen, was du endlich bist... (doch so viel Angst, es in dich einzulassen, dieses Gesicht der Schlange - Angst, deine Arme und Beine zu spreizen und es in dich eindringen zu lassen, in dein wahres Gesicht es wird dich töten wenn es -)
    Dies alles erzählt er jetzt dem Schwarzkommando, dies und noch viel mehr. Nachdem er eine Woche lang gebrüllt hat: Ich weiß es, geschluchzt hat: Ich habe das Schwarzgerät gesehen, wann immer sich ein schwarzes Gesicht hinter den fließenden Gitterzäunen, bei den Schlackenwällen, auf den Kreuzungen zeigte, hat sich die Nachricht herumgesprochen. Eines Tages kommen sie, um ihn zu holen: Schwarz wie sie selbst vom Kohlenstaub wird er von seinem Strohlager aufgehoben, leicht wie ein kleines Kind, mit einer Kakerlake auf seinem Gesicht, die freundlich abgenommen wird, und zitternd, stöhnend nach Süden in die Erdschweinhöhle transportiert, wo sie jetzt alle um ein Feuer herumsitzen, rauchend und kauend, die Augen unverwandt auf den blauen Thanatz gerichtet, der schon seit sieben Stunden redet wie ein Wasserfall. Er ist der einzige, der in gewisser Weise privilegiert ist, so viel von der Geschichte zu erzählen, er ist einer, der verspielt hat, ein Verlierer,
    Nur ein Narr, der in-der-Liebe, nie gewinnt, Obwohl er spielt, fast jede Nacht... Ein Narr, der gegen die verliert, die oben sind Und ihm die Karten mischen, wie sie sich's gedacht ... Oh, ein Verlierer, scheut den Einsatz, er spielt nicht auf Gewinn,
    Er weiß, wer einmal auf die Schnauze flog, fällt immer wieder hin!
    Nur ein Verlierer, in-dem-Spiel, der Liebe ... Der Nacht für Nacht für Nacht verbringt, alleiiiin!
    Er hat Gottfried verloren, er hat Bianca verloren, und er beginnt erst jetzt, so spät im Spiel, zu ahnen, daß beides ein Verlust ist, an denselben Gewinner. Die Reihenfolge in der Zeit hat er bereits vergessen. Er weiß nicht mehr, welches der beiden Kinder er zuerst verlor oder ob es nicht sogar - Hornissenschwärme der Erinnerungquellen hoch - zwei Namen sind für ein und dasselbe Kind ... doch dann, im Strudel, zwischen fremdem Treibgut, scharfen Kanten, rasenden Wirbeln spürt er, daß er den Gedanken nicht zu halten vermag: bald zappelt er wieder draußen im offenen Wasser. Aber er wird sich daran erinnern, daß er ihn für einen Augenblick gepackt hielt, sein Gewebe, seine Farbe gesehen hat, ihn neben seinem Gesicht gefühlt hat, als er aus einem Schlaf an seiner Seite erwachte - daß die beiden Kinder, Gottfried und Bianca, dasselbe Kind sind...
    Er hat auch

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