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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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Zhlubb zu konzentrieren. Der Santa-Monica-Freeway ist die traditionelle Arena jeder Form von automotivem Irrsinn, den menschliche Gehirne je ersonnen haben. Er ist weder weiß und saturiert wie der San Diego noch so hinterhältig angelegt wie der Pasadena, noch ganz so gettoselbstmörderisch wie der zum Hafen. Nein, man zögert zwar, es laut zu sagen, aber der Santa Monica ist ein Freeway für Freaks, und heute sind sie alle unterwegs und machen es dir schwer, der unterhaltenden Erzählung des Managers zu folgen.
    Es ist fast unmöglich, in ihrer Gegenwart einen Schauder der Abneigung, ein beinahe reflexhaftes Bewußtsein ihrer Abartigkeit zu unterdrücken. Schnatternd kommen sie von allen Seiten auf dich zu, kreisen dich ein, rollen durch die heruntergekurbelten Seitenfenster mit ihren Augen, spielen ungerührt auf Mundharmonikas und selbst Kazoos, in offener Mißachtung der Verbote.
    "Nur ruhig", die Augen des Managers zeigen ihr charakteristisches Glitzern: "Für die werden wir schon ein nettes, sicheres Plätzchen unten im Orange County finden. Gleich neben Disneyland", worauf er zu einer Pause verstummt, genau wie ein Nachtklub-Komiker, allein in seinem geteerten Kreis, in seinem kreidigen Schrecken. Gelächter umspült dich: das vielstimmige Gelächter eines treuen Publikums, aus allen vier Ecken des wattierten Volkswagen-Innenraums. Du registrierst, mit einer schwachen Regung von Befremden, daß hier eine Stereoanlage installiert ist, und ein Blick ins Handschuhfach enthüllt dir eine ganze Phonothek von solchen Bändern: jubelrufe (herzlich), jubelrufe (erregt), feindlicher mob (assortiert in 22 Sprachen), jas, neins, bürgerrechtler, FRAUENRECHTLERINNEN, SPORTPALAST - jetzt hör aber auf -, gefechtslärm (konventionell), gefechtsLÄRM (NUKLEAR), SCHIESSEREI (GROSSSTADT), KATHEDRALENAKUSTIK... "Natürlich müssen wir in irgendeiner Art von Code sprechen", fährt der Manager fort, "so war es immer schon. Aber keiner dieser Codes ist wirklich schwer zu knacken. Unsere Gegner haben uns vorgeworfen, daß wir das Volk verachteten. Aber wir machen das alles wirklich im Geiste des Fair play. Wir sind keine Monster. Wir wissen, daß wir ihnen in irgendeiner Form eine Chance geben müssen. Wir können ihnen doch nicht jede Hoffnung nehmen, nicht wahr?"
    Der Volkswagen befindet sich jetzt über der Innenstadt von L. A., als der Verkehrsstrom vor einem Konvoi aus dunklen Lincolns, etlichen Fords, sogar einigen GMCs zur Seite weicht, aber kein Pontiac, kein einziger Pontiac ist in der Gesellschaft. Hinter jeder Windschutzscheibe, jedem Heckfenster steckt ein orange fluoreszierender Streifen, auf dem trauerkorso zu lesen steht. Der Manager hat zu schnüffeln begonnen. "Er war einer der
    Besten! Ich konnte nicht selbst mitfahren, aber ich habe einen meiner Vertrauensleute geschickt. Wer wird ihn je ersetzen können, frage ich mich." Erdrückt auf einen geschickt angebrachten Knopf unter dem Armaturenbrett. Diesmal besteht das Gelächter aus vereinzelten männlichen Oh-hohos mit einem Schuß Zigarrenrauch und gut abgelagertem Bourbon. Sparsam, aber laut. Sätze wie: "Dick, du bist 'n Original!" oder: "Hört euch den an!" klingen ebenfalls heraus. "Ich habe eine Phantasie darüber, wie ich einmal sterben werde. Ich nehme an, daß auch Sie auf ihrer Lohnliste stehen, aber das soll mir egal sein. Hören Sie zu. Es ist drei Uhr früh auf dem Santa-Monica-Freeway, eine warme Nacht. Alle meine Fenster sind offen. Ich fahre so um die 70, 75 Meilen. Der Fahrtwind bläst herein und hebt hinten, vom Boden im Fond, einen hauchdünnen Plastiksack auf, einen ganz gewöhnlichen Plastiksack von der chemischen Reinigung: er kommt durch die Luft geschwebt, von hinten nach vorne, weiß wie ein Gespenst im Licht der Quecksilberdampflampen ... er stülpt sich über meinen Kopf, so zart und durchsichtig, daß ich ihn kaum bemerke, bis es zu spät ist. Ein Leichentuch aus Plastik, das mich zu Tode erstickt ... "
    Unterwegs zum Hollywood-Freeway stoßen wir, zwischen einem mit einer mysteriösen Plane bedeckten Tieflader und einem Flüssigwasserstoff-Tankwagen, der schlank ist wie ein Torpedo, auf eine ganze Karawane von Mundharmonikaspielern. "Wenigstens sind's nicht diese Tamburine", murmelt Zhlubb, "Gott sei Dank gibt's nicht mehr so viele Tamburine wie im vergangenen Jahr."
    Stahlgeriffelte Lebensmitteltransporter glitzern ein Kreuzmuster in den Nachmittag, ihre Metallwände leuchten wie ein Trinkwassersee nach einer langen Wüstenfahrt. Es

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