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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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ist ein Müllabfuhrtag, und alle Müllkipper sind unterwegs nach Norden, auf den Ventura-Freeway zu - eine Katharsis von Müllwagen in allen Farben, Formen und Techniken, heimkehrend zum Zentrum mit all den gesammelten Fragmenten der Gefäße ...
    Das Geräusch einer Sirene trifft euch beide unvorbereitet. Zhlubb wirft einen scharfen Blick in den Rückspiegel. "Sie haben doch nicht irgendwas dabei, oder?" Aber das Geräusch ist lauter als die Polizei. Es hüllt den Smog und den Beton ein, füllt die Senke und die Berge tiefer, als je ein Sterblicher gelangen könnte... gelangen in der Zeit...
    "Ich glaub nicht, daß das eine Polizeisirene ist." Krampf im Bauch, greifst du nach
    dem Radioknopf, AM. "Ich glaub nicht-"

Lichtung

    "Räumen", schreit Hauptmann Blicero. Die T-Stoff- und Per-manganattanks sind gefüllt worden. Die Kreisel sind auf Touren gebracht. Die Beobachter verkriechen sich in ihre Splittergräben. Werkzeuge und Hilfsgeräte werden klappernd auf der Ladefläche eines Lastwagens verstaut, dessen Motor bereits läuft. Die BatterieLademannschaft und der Fähnrich, der den Aufschlagzünder eingeschraubt hat, klettern hinterher, und der Lastwagen zieht sich über frische braune Erdfurchen zwischen die Bäume zurück. Blicero bleibt noch für ein paar Sekunden am Startplatz, sieht sich um, ob alles in Ordnung ist. Dann wendet er sich ab und geht nicht schnell, nicht langsam zum Feuerleitpanzer.
    "Steuerung klar?" fragt er den Jungen am Schaltpult des Leitsystems.
    "Ist klar." Im Licht der Instrumente wirkt das Gesicht von Max gehärtet, stures Gold.
    "Triebwerk klar?"
    "Ist klar", von Moritz, am Kontrollpult des Raketenofens. In den Telephonhörer, der
    neben seinem Hals baumelt, meldet er der Zentrale: "Luftlage klar."
    "Schlüssel auf schiessen", befiehlt Blicero.
    Moritz wirft den Hauptschalter herum. "Schlüssel steht auf  SCHIESSEN."
    Klar.
    Eigentlich sollte es hier lange, dramatische Pausen geben. In Weißmanns Kopf sollte es wimmeln vor lauter letzten Bildern von kremigen Arschbacken, die sich vor Angst verkrampfen (kein einziges Tröpfchen Scheiße, Liebchen?), von letzten Vorhängen aus goldenen Wimpern über flehenden, jungen Augen, einem geknebelten Hals, der sich zu spät zu sagen müht, was er gestern abend im Zelt hätte sagen sollen ... und tief im Hals die Kehle, in der die Eichel von Bliceros Schwanz zum letztenmal explodiert ist (aber was ist das, hinter dem Würgen dieser Kehle, hinter der Krümmung In Das Dunkel... Dem Gestank... Dem Weiß ... Der Biegung ... Wartend ... Wartend Auf -). Doch nichts davon: das Ritual hält sie alle in seiner samtenen Faust. So stark, so warm...
    "Durchschalten." Bliceros Stimme ist ruhig und bestimmt. "Luftlage klar", ruft Max vom Steuerpult.
    Moritz drückt auf den Knopf, auf dem Vorstufe steht: "Ist durchgeschaltet."
    Eine Pause von 15 Sekunden, während der Sauerstofftank Druck aufbaut. Auf  Moritzens Kontrollpult blinkt ein Licht.
    Entlüftung. "Belüftung klar."
    Das Zündlicht leuchtet auf. "Zündung klar."
    Dann: "Vorstufe klar." Vorstufe ist die letzte Position, aus der Moritz noch zurückschalten kann. Die Flamme wird an der Basis der Rakete sichtbar.
     Farben entwickeln sich. Für vier Sekunden hält nun alles inne, vier Sekunden des  Übergangs, der Unbestimmtheit. Selbst dafür läßt das Ritual noch Raum. Der Unterschied zwischen einem Startoffizier der Spitzenklasse und einem, der ewig zum Mittelmaß verdammt ist, besteht im Wissen um den richtigen Augenblick, wann genau in dieser schallenden, von Fabelwesen bevölkerten Passage er die Hauptstufe befehlen muß.
    Blicero ist ein Meister. Er hat schon früh gelernt, in einen Trancezustand zu verfallen,
    auf die Erleuchtung zu warten, die immer eintrifft. Es ist nichts, wovon er jemals laut
    gesprochen hätte.
    "Hauptstufe."
    "Hauptstufe ist gegeben."
    Die Tür ist für immer ins Schloß gefallen.
    Zwei Kontrollampen verlöschen. "Stecker eins und zwei gefallen", meldet Moritz. Die Stotz-Stecker liegen weggesprengt am Boden, tanzen in den Turbulenzen der Flamme. Von der Schwerkraft genährt, war die Flamme leuchtend gelb. Jetzt beginnt die Turbine zu brüllen. Die Flamme wandelt sich jäh zu Blau. Ihr Lärm schwillt an zum vollen Schrei. Die Rakete bleibt noch einen Augenblick auf der Bodenplatte stehen, dann beginnt sie langsam, zitternd, wütend muskulär zu steigen. Vier Sekunden später neigt sie sich in ihre Bahn. Doch die Flamme ist zu hell, als daß irgend jemand Gottfried im

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