Die Enden der Parabel

Exwissenschaftler jetzt, einer, der nie mehr weit genug vorstoßen wird, um auch nur anfangen zu können, über Gott zu reden, niemals ein apfelbäckig-liebenswerter, weißhaariger Exzentriker, der von der Höhe seines Ruhms herunterschwatzen kann - nein, er bleibt allein mit Ursache-und-Wirkung und dem Rest seiner sterilen Streitmacht... seine mineralischen Korridore kennen keinen Glanz. Sie werden den gleichen neutralen, namenlosen Farbton bewahren, von hier bis zur zentralen Kammer und der perfekt geprobten Szene, die er trotz allem dort noch spielen wird ...

   Countdown

    Der Countdown, wie wir ihn kennen, 10-9-8 usw., wurde 1929 von Fritz Lang für den Ufa-Film Die Frau im Mond erfunden. Er montierte ihn in die Startszene ein, um die Spannung zu erhöhen. "Noch so eine von meinen verdammten ", sagte Fritz Lang. "Beim Akt der Schöpfung", erläutert der Wonführer der Kab-balisten, Steve Edelman, "sandte Gott einen Energiestoß in die Leere. Dieser teilte sich sogleich in zehn verschiedene Sphären oder Aspekte auf, die den Zahlen eins bis zehn entsprechen. Man kennt diese Sphären unter dem Namen Sefirot. Um zu Gott zurückzukehren, muß die Seele jede dieser Sefirot durchwandeln, von der zehnten bis zur ersten. Bewaffnet mit Magie und Glauben, sind die Kabbalisten ausgezogen, sich die Sefirot zu erobern. Viele kabbalistische Geheimnisse handeln davon, wie man diese Reise erfolgreich besteht.
    Nun fügen sich die Sefirot zu einem Muster, das man den Baum des Lebens nennt. Er ist gleichzeitig der Leib Gottes. Die zehn Sphären sind durch 22 Wege miteinander verbunden. Jeder dieser Wege entspricht einem Buchstaben des hebräischen Alphabets und auch einer jener Karten, die man die des Tarot nennt. Obwohl also der Countdown der Rakete seriell abzulaufen scheint, birgt er tatsächlich den Baum des Lebens in sich, der simultan wahrgenommen werden muß, gleichzeitig und parallel.
    Einige Sefirot sind aktiv und maskulin, andere passiv und feminin. Doch der Baum selbst ist eine Einheit, verwurzelt genau in der Bodenplatte. Er ist die Achse einer eigenen Erde, eine neue Ordnung, geschaffen durch das Große Feuern." "Aber - aber bei einer neuen Achse, bei einer neu sich drehenden Erde", schießt's dem Besucher durch den Kopf, "was wird dann aus der Astrologie?" "Die Zeichen ändern sich, du Idiot", schnappt Edelman und greift nach seiner Familienpackung Thorazin. Er ist ein so gewohnheitsmäßiger Benutzer dieses Tranquilizers geworden, daß sich seine Gesichtsfarbe bereits zu einem alarmierenden Dachschiefer-Purpur verdunkelt hat. Das macht ihn zu einer Kuriosität auf dieser Straße hier, wo alle anderen sonnenbraun und mit roten Augen von der einen oder anderen Allergie rumlaufen. Edelmans Kinder, schelmische kleine Teufel, haben in letzter Zeit damit begonnen, Waffelkondensatoren aus weggeschmissenen Transistorradios in den väterlichen Thorazin-Topf zu schmuggeln. Für sein achtloses Auge machte es keinen Unterschied, und so hatte Edelman bald Grund zu der Befürchtung, daß er eine Toleranz entwickelte - daß der Abgrund bereits un-tolerierbar nahe vor ihm gähnte, nur noch einen läppischen Zufall, eine Polizeisirene auf der Straße, einen Schubwechsel einer Maschine im Holding weit entfernt. Zum Glück entdeckte seine Frau den Streich, bevor ihm ernstlich etwas zugestoßen war, und jetzt ist er sorgsam genug, jede Pille vor dem Schlucken einer gründlichen Inspektion in Sachen Mys, Kontakte, Bezifferung zu unterziehen. "Hier -" er stemmt einen fetten Packen Photokopien empor: "Die Ephemeriden, berechnet nach der neuen Rotation."
    "Sie meinen, es hat tatsächlich jemand die Bodenplatte entdeckt? Den Pol?" "Das delta-t persönlich. Natürlich wurde es nicht publik gemacht. Die hat's gefunden." Ein Pseudonym, klarerweise. Jeder weiß doch, daß der Kaiser keinen Bart hat.

  Verwoben in den Apollinischen Traum

    Wenn einem etwas Wirkliches bevorsteht, geht man mit einer transparenten Oberfläche darauf zu, die parallel zur eigenen Stirn verläuft und summt und einem beide Ohren halbiert, was die Augen in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Das Licht beugt sich zu kreidigem Blau. Die Haut schmerzt. Endlich: etwas Wirkliches. Hier im Heck der 00000 sieht Gottfried diese durchsichtige Haut vor sich, buchstäblich und zum Greifen: sein Leichentuch aus Imipolex G. Erinnerungen aus der Kindheit steigen in ihm auf. Er denkt an die Schale eines Apfels, auf der er Sternennebel auseinanderfließen sah, ein Blick in den