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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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der Knabe hört nicht zu weinen auf. Katje steht ihm nicht bei. Vielleicht schläft sie. Er weiß es nie. Wie gerne wäre er ihr Freund, und doch sprechen sie kaum jemals miteinander. Sie ist so kalt, geheimnisvoll, oft ist er eifersüchtig ihretwegen, dann wieder - meistens, wenn er sie ficken will und irgendein geistreicher Trick des Hauptmanns ihn daran hindert - glaubt er, sie verzweifelt zu lieben. Anders als Blicero, hat er in ihr niemals die loyale Schwester gesehen, die ihn aus dem Käfig holen wird. Zwar träumt er diese Befreiung, aber als dunklen, von außen kommenden Prozeß, der völlig unabhängig von ihren eigenen Wünschen ablaufen wird. Unabhängig davon, ob sie bleibt oder geht. Und so hält er den Mund, als Katje aussteigt aus dem Spiel.
    Blicero verflucht sie. Er schleudert seinen Stiefelknecht in einen kostbaren Ter Borch. Nahe im Westen fallen Bomben auf den Haagschen Bosch. Eine Brise riffelt die Oberfläche der Zierteiche vor dem Haus. Stabswagen schnurren über die lange, von Rotbuchen gesäumte Auffahrt. Ein halber Mond hängt zwischen Wolkenschleiern, seine Dunkelzone hat das Grau von altem Fleisch. Blicero schickt die Mannschaft in den Schutzraum, einen Keller voll Wacholderschnaps in braunen Tonkrügen, Anemonenzwiebeln in offenen Lattenkisten. Diese verdammte Nutte hat seine Batterie an die Briten verkauft: jeden Augenblick kann der Angriff kommen. Sie sitzen herum, trinken Oude Genever, schälen Käse. Erzählen einander Geschichten, die meistens lustig sind und im Frieden spielen. Als der Morgen dämmert, sind sie besoffen und pennen. Wachsschnitzel bedecken den Boden wie Laub. Die Spitfires sind ausgeblieben. Aber später, noch am selben Morgen, wird Schußstelle 3 verlegt, das requirierte Haus geräumt. Und sie ist fort. Über die englischen Linien gewechselt an der Stelle, wo das große Luftlandeabenteuer im winterlichen Schlamm pausiert, in Gottfrieds Stiefeln und einer alten Abendrobe, knöchellang, schwarz geflammt, eine Nummer zu groß und abgetragen. Ihre letzte Verkleidung. Von nun an wird sie Katje sein. Der einzige, dem sie noch etwas schuldet, ist Captain Prentice. Die anderen -Piet, Wim, der Trommler und der Indianer- haben sie alle fallenlassen. Vergessen für tot. Wenn nicht, dann wäre sie gewarnt, daß "Nein, tut mir leid, wir brauchen die Patrone", Wims bitteres Flüstern, sein Gesicht in Schatten, die ihre Augen nicht durchdringen können, zerfetztes Trampeln, eine Menschenmenge, durch die Bohlen der Pier von Scheveningen über ihren Köpfen. "Wir brauchen jede verdammte Patrone, die wir kriegen können. Und wir brauchen Ruhe. Wir können niemanden entbehren, um die Leiche wegzuschaffen. Fünf Minuten hab ich jetzt schon mit dir vergeudet..." So verbraucht er ihr letztes Treffen für technische Details, die sie nicht länger teilen kann. Als sie sich umdreht, ist er verschwunden, guerillaleise, und läßt ihr keinen Anschluß an das Gefühl, das sie im Vorjahr von ihm hatte, damals unter der kühlen Chenille, als er noch nicht so muskulös war und noch ohne Narben an Schulter und Schenkel - ein Spätentwickler, neutral und unabhängig, der endlich doch über seine Grenze getrieben wurde, doch hatte sie ihn wohl zuvor geliebt... wie anders sollte es gewesen sein ...
    Jetzt ist sie wertlos für Wim und die Seinen. Ihnen war es um Schußstelle 3 gegangen. Sie hatte ihnen alles mögliche verraten,
    aber immer wieder Gründe gefunden, die genaue Position der Feuerstellung auszuklammern - und es ist allzu zweifelhaft geworden jetzt, wie gut die Gründe waren. Natürlich wurde die Stellung oft verlegt. Aber näher als sie konnte den entscheidenden Instanzen niemand kommen: es war ihr eigenes, gleichgültiges Serviergesicht, das sich über die Schnäpse und Zigarren, die kaffeegeränderten, niedrigen Kartentische, die chamoisfarbenen Papiere beugte, die lilablaue Stempel trugen wie geprelltes Fleisch. Wim und die anderen haben Zeit und Menschenleben investiert - drei jüdische Familien, deportiert nach Osten -, obwohl, Moment, das hat sie schließlich mehr als ausgeglichen, in den Monaten in Scheveningen! Sie waren halbe Kinder, neurotisch, einsam, Flieger wie Mannschaften, alle trugen sie ihr Herz auf der Zunge, und sie hat den Inhalt von wer weiß wie vielen Stapeln streng geheimer Dokumente über den Kanal geschafft, weiß Gott, Staffelkennungen, Treibstoffdepots, Abfangtaktik und Wendekreisradien, Nennleistungen, Frequenzen, Sektoren, Einsatzpläne - zählt das etwa

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