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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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in diesem Fall sogar ein goldenes Schwein. Doch um die Mitte des 17. Jahrhunderts gab es dann auch keine goldenen Schweine mehr, nur solche aus nicht minder sterblichem Fleisch als dem Frans Van der Groovs, eines anderen Vorfahren, der mit einer Schiffsladung lebender Säue nach Mauritius segelte und dort dreizehn Jahre damit verlor, mit seiner Haakbus durch die Ebenholzwälder, das Sietland und die Lavafelder zu streifen und planmäßig die einheimischen Dronten auszurotten, aus Gründen, die er sich selbst nicht zu erklären vermochte. Die holländischen Schweine kümmerten sich um die Eier und die Jungvögel. Frans aber legte aus nur zehn bis zwanzig Metern auf die Eltern an, die Büchse fest auf ihrem Haken abgestützt, drückte, den Blick fixiert auf diese federstiebende Unsäglichkeit, den Abzugsbügel nieder und sah im Augenwinkel, wie sich die alkoholgetränkte Lunte zwischen den Kiefern des Drachen rotblühend senkte, ihre Hitze vor seiner Wange wie mein eigener kleiner Mars (so schrieb er in einem Brief an seinen älteren Bruder Hendrik), der mein Sternzeichen regiert... Dann zog er die andere Hand zurück, mit der er das
    Zündpulver abgeschirmt hatte - ein kurzer Blitz von der Pfanne ins Zündloch, und ein donnernder Knall, dessen Echo schon von den Felswänden kam, als ihm der Rückstoß noch den Schaft in die Schulter rammte (wo die Haut wund war und aufgeplatzt, bis sich, nach dem ersten Sommer, eine Hornhautschicht gebildet hatte). Der dumme, ungelenke Vogel aber, nicht dafür geschaffen, zu fliegen oder auch nur einigermaßen behende zu laufen - wozu waren sie überhaupt gut? -, hatte von seinem Mörder nichts bemerkt, riß kreischend auf, spritzte sein Blut aus und starb ... Zu Hause überflog der Bruder die Briefe, die über Jahre geschrieben und alle gleichzeitig zugestellt worden waren, einige noch frisch, andere salzwasserfleckig oder ausgebleicht, verstand nur wenig und war ohnehin in Eile, um nicht zu spät in die Gärten und das Gewächshaus zu kommen, wo er die Tage in Gesellschaft seiner Tulpen zu verbringen pflegte (eine akute Tollheit der Epoche), vor allem jener neu gezüchteten, die er nach seiner augenblicklichen Geliebten benannt hatte: blutrot, mit zartem Purpur tätowiert... "Die Neuankömmlinge haben alle schon den neuen Snaphaan ... aber ich hänge nun einmal an
    meinem alten, schwerfälligen Luntenschloß ... Steht mir nicht eine plumpe Waffe zu für solche plumpe Beute?" Mehr wußte Frans nicht zu berichten über das, was ihn selbst während der winterlichen Zyklone draußen ausharren ließ, bis ihm nur noch alte Uniformfetzen blieben, um sie zu den Bleikugeln zu stopfen, sonnengegerbt, vollbärtig und verdreckt außer, es regnete oder er war im Hochland, wo die Krater der erloschenen Vulkane Regenwasser, blau wie der Himmel, aus emporgereckten Kelchen darboten.
    Er ließ die Dronten alle verwesen, konnte sich nicht überwinden, von ihrem Fleisch zu essen. Gewöhnlich jagte er allein. Oft jedoch, nach Monaten der Isolation, begann die Einsamkeit, ihn und seine Wahrnehmung zu verändern. Unter seinen Blicken flammten die zerklüfteten Gebirge am hellen Tag in monströsem Safrangelb und strahlendem Indigo auf, wurde der Himmel zum Gewächshaus, die ganze Insel zu seinem Tulpenwahn. Nachts, wenn er schlaflos lag und die tropischen Sterne zu dicht standen, um sich zu Sternbildern zu ordnen, wenn der Himmel überbordete von Fratzen und Fabelwesen, die noch erstaunlicher aussahen als die Dronten, hörte er die Stimmen von Schlafenden, einzeln, paarweise und im Chor. Die Rhythmen und Klangfarben waren holländisch, ergaben für den Wachenden jedoch keinen Sinn. Er glaubte nur zu verstehen, daß sie ihn warnen wollten... ungehalten waren, wütend, über sein Unverständnis. Einmal saß er einen ganzen Tag lang vor einem Grasnest mit einem einzelnen, weißen Drontenei und starrte es an. Der Ort war so abgelegen, daß kein streunendes Schwein das Ei entdeckt hatte. Er wartete auf ein Kratzen, auf einen ersten Sprung, der zu einem Netz von Rissen in der Kalkhaut werden würde, auf ein Erscheinen. Das Maul des eisernen Drachen war mit Hanf gefüttert, bereit, entzündet zu werden, sich zu senken, eine Sonne ins Schwarzpulvermeer, um das Küken zu vernichten, Ei aus Licht zu Ei der Finsternis, im ersten Augenblick des atemlosen Schauens, des kühlen Kraulens der Südostpassate über seinen feuchten Flaum ... Alle Stunden legte er an und visierte über den Lauf auf das Ei. In diesen

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