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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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nicht? Was erwartet man denn noch von ihr? Sie fragt im Ernst, so als gäbe es tatsächlich einen Umrechnungsfaktor zwischen Menschenleben und Informationen. Und, so seltsam es klingt, es gibt ihn. Schwarz auf weiß, niedergelegt in der Dienstvorschrift, im Kriegsministerium einzusehen. Vergeßt nicht, daß das wahre Geschäft des Krieges im Kaufen und Verkaufen besteht. Mord und Gewalt ergeben sich von selbst, das kann man Amateuren überlassen. Die Dimensionen des Sterbens im Krieg haben eine ganze Reihe nützlicher Effekte. Sie geben ein vordergründiges Spektakel ab, das die wirkliche Dynamik des Krieges zu verschleiern hilft. Sie liefern das Rohmaterial, das ins Buch der Geschichte eingetragen wird, um Kindern beizubringen, daß die Geschichte, Schlacht um Schlacht, aus einer Folge von Gewaltakten besteht, wodurch sie auf das Leben als Erwachsene gut vorbereitet werden. Vor allem aber ist das massenhafte Sterben ein Anreiz für die kleinen Leute, für die da unten, sich um ihr Stück vom Kuchen zu balgen, solange sie's noch essen können. Der wahre Krieg ist ein Kult der Märkte. Organische Märkte, von den Professionals sorgsam zu "schwarzen" stilisiert, schießen aus dem Boden, wohin man blickt. Besatzungsgeld, Sterlings und Reichsmark zirkulieren weiter durch ihre sterilen Marmorgrüfte, keimfrei wie klassisches Ballett. Doch draußen, bei den Leuten, kommen die gültigeren Währungen in Umlauf. So sind auch Juden konvertierbar, Stück für Stück so konvertierbar wie Zigaretten, Fotzen oder Hershey-Schokolade. Auch bringen Juden ein Element der Schuld ins Spiel, ein Risiko zukünftiger Erpreßbarkeit, das den Professionals, ganz klar, äußerst gelegen kommt. Darum hallt Katjes Stimme in ein Schweigen, eine Nordsee von Hoffnungen, und Pirat Prentice, der sie von hastigen Begegnungen her kennt -auf Stadtkarrees, die prunkten mit Kasernenfronten und Beklemmung, unter dem dunklen Weichholzaroma von Treppen, steil wie Leitern, an Bord eines Gaffelschoners an einer öligen Pier, von der ein Kater mit Bernsteinaugen herunterblinzelte, in einem alten Wohnblock mit Regen im Hinterhof, wo Kettenglieder und die Ölpumpe einer demontierten alten Schwarzlose auf dem staubbedeckten Zimmerboden verstreut lagen -, sie aber immer nur als ein Gesicht unter anderen, bekannteren erinnert, stets nur am Rande jedes Unternehmens, spürt jetzt, diesem Gesicht ohne gewohnten Kontext ausgesetzt, nur einen riesigen Himmel ozeanischer Wolken in stürmischer Bewegung hinter ihm, ragend und pflaumengrau, Gefahr in ihrer Einsamkeit, merkt plötzlich, daß er ihren Namen nie gehört hat, nicht bis zu dem Treffen bei der Windmühle, die man "Der Engel" nennt...
    Sie erklärt ihm, weswegen sie allein ist - mehr oder weniger -, nicht mehr zurückkann, und ihr Gesicht ist ganz woanders, hängt noch in Öl, mit anderem Überlebenden, in dem Haus bei Duindigt und beobachtet das Ofenspiel. Wie der Purpurhauch auf den Wolken ziehen die Jahrhunderte vorbei, verdunkeln die unendlich dünne Firnisschicht zwischen Pirat und ihr, gewähren die Gelassenheit, die klassische Distanz, die sie als Schutzschild braucht. "Aber wo wollen Sie jetzt hin?" Beide haben sie die Hände in
    den Taschen vergraben, die Schals eng umgewickelt. Angespülte Steine schimmern schwarz und warten ab, wie Schrift aus einem Traum, bereit, zu einem Text zu werden, auf den Strand gedruckte Zeichen, jedes so erstaunlich klar, und doch "Ich weiß es nicht. Fällt Ihnen nicht ein guter Platz ein?" "Die ", schlug Pirat vor.
    " klingt gut", sagte sie und machte einen Schritt, ins Leere hinein ... "Osbie, bin ich verrückt geworden?" Eine verschneite Nacht, fünf Einschläge seit heute mittag, fröstelnd in der Küche, spät, bei Kerzenlicht, während der weise Idiot des Hauses, Osbie Feel, derart selbstvergessen bei der Muskatnuß weilt, daß die Erkundigung ganz angemessen scheint, und die fahle Jungfrau aus Zement in ihrer dunklen Ecke kauert, phlegmatisch und vermutlich leicht gereizt. "Na klar, na klar", macht Osbie und vollführt eine fließende Bewegung von den Fingerspitzen bis zum Handgelenk, frei nach der Geste, mit der Bela Lugosi irgendeinem Idioten von jugendlichem Helden in White Zombie das prekäre Glas voll präpariertem Wein kredenzt, im ersten Film, den Osbie je gesehen hat, und in gewisser Weise auch dem letzten, denn immer noch rangiert er, neben San of Frankenstein und Freaks und Flying Down to Rio, ganz oben auf Osbies Liste seiner Lieblingsstreifen - in die

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