Die Enden der Parabel
vielleicht noch Dumbo aufgenommen wird, den er erst gestern abend in der Oxford Street gesehen hat, wobei ihm aber plötzlich, anstatt der Zauberfeder, das humorlose, grün und magentarot gefärbte Gesicht von Mr. Ernest Bevin aus dem pausbäckigen Rüssel des langwimprigen Elefantenbabys entgegenstarrte, worauf es ihm geraten schien, sich unauffällig zu verdrücken. "Nein", denn was immer Osbie auch gesagt hat, Pirat hat es inzwischen mißverstanden, "nicht: , das hab ich nicht gemeint... "
"Was dann?" fragt Pirat, nachdem Osbies Schweigen die Minutengrenze überschritten hat. "Äh?" macht Osbie.
Pirat hat was zum Grübeln, daran liegt's. Ständig muß er daran denken, wie auffällig Katje jetzt jede Erwähnung des Hauses im Wald vermeidet. Sie hat es flüchtig angesprochen, dann schnell verlassen, doch die kristallischen Verwerfungen der Wahrheit haben ihre hörbaren Worte gebrochen - oft bis zu Schluchzern -, so daß er das, was sie gesagt hat, kaum verstehen, geschweige denn die Spur des strahlenden Kristalls selbst darin finden kann. Aus welchem Grund hat sie Schußstelle 3 wirklich verlassen? Wir werden es nie erfahren. Ab und zu jedoch geschieht es einfach, daß sich Spieler während der Partie, ob's gerade flau ist oder spannend, daran erinnern, wie sehr sie wirklich spielen im Spiel - und dann unfähig sind, so fortzufahren, als sei nichts gewesen. Das mag sich sacht anbahnen, ohne Knall und Sensation aber der Spieler wird, egal wie die Begegnung steht, wie viele Menschen zuschauen, was sie erhoffen, welche Strafen sie oder die Ligen verhängen können, plötzlich bewußt erwachen, vielleicht genau mit Katjes ungestümem Schulterzucken, ihren ausgreifenden Bewegungen, die nur der macht, der jung und ganz allein ist, wird scheiß drauf sagen und aussteigen aus dem Spiel, eiskalt...
"Schon gut", macht er alleine weiter, als Osbie wieder in sein mondsüchtiges Drogenlächeln zurücksinkt und die reife, weibliche Schneehaut des Berges in der
Ecke zu liebkosen beginnt, nur er und der gefrorne Gipfel über ihm und blaue Nacht... "also eine Charakterschwäche, eine Grille. Genau wie die verdammte Mendoza." Alle anderen in der Firma nämlich haben eine Sten im Tornister. Die Mendoza wiegt dreimal soviel, und keiner hat die mexikanischen Mauser-Patronen in 7 mm in letzter Zeit auch nur von ferne gesehen, nicht mal in Portobello Road. Sie ist nicht so phantastisch handlich wie die Sten, und sie erreicht nicht deren Feuergeschwindigkeit, aber dennoch liebt er seine Mendoza (ja, meistens ist es Liebe heutzutage), "war sonst doch einfach treulos, oder?" - dieses nostalgische Gefühl beim Durchladen, fast wie das alte Lewis, und daß der Lauf in wenigen Sekunden runtergeht (jemals versucht, den Lauf von einer Sten abzumontieren?), und hier, der Doppeldorn am Schlagbolzen, falls einer abbricht... "Soll ich denn darauf einfach verzichten, nur weil sie etwas schwerer ist? Es ist nun mal meine Grille, und das Gewicht macht mir nichts aus, hätte ich sonst das Mädchen rausgeholt? Na eben."
"Ich gehe Sie überhaupt nichts an." Eine Statue aus weinrotem Samt faconne, vom Hals bis zu den Handgelenken und zum Spann, wie lang wohl, meine Herren, hat sie euch aus den Schatten schon beobachtet? "Oh", sagt Pirat und wird verlegen, "das tun Sie aber doch!"
"Das glückliche Paar!" röhrt Osbie plötzlich, nimmt eine neue Prise Muskat, schnupft auf und rollt die Augen, bis sie so weiß sind wie der Miniaturberg in der Ecke. Dann niest er donnernd in die Küche hinein, voll Unglauben, tatsächlich diese beiden Leute im selben Gesichtsfeld zu haben. Pirat wird rot vor Scham, Katje bleibt unverändert, halb vom Licht aus dem Nebenzimmer übergössen, halb in den schiefergrauen Schatten.
"Hätte ich Sie also lieber zurücklassen sollen?" und da sie nur ungeduldig ihre Lippen zusammenpreßt, "oder glauben Sie, es gibt hier jemand, der es Ihnen schuldig war, Sie rauszuholen?"
"Nein." Das hat sie getroffen. Pirat hat nur gefragt, weil er sich neuerdings bei dem Verdacht ertappt, es könnte eine ganze Menge solcher Jemands geben. Doch für Katje ist eine Schuld etwas, das getilgt werden muß. Ihr altes, zähes Laster - sie will über Meere segeln, will Brücken schlagen zwischen Ländern, die niemals einen Wechselkurs gemeinsam haben werden. Ihre Vorfahren sangen, auf mittelniederländisch,
ic heb u liever dan en everswin, al waert van finen goude ghewracht,
von Liebe, die nicht eingewechselt werden kann für Gold, das goldene Kalb,
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