Die Enden der Parabel
Buch die Mächte bannt, die außerhalb des Feuerkreises lauern. Jetzt blickt er auf, schockiert. Der Junge will ficken, aber er bedient sich der Herero-Wörter für "Gott". Ein eiskalter Schauder überläuft den weißen Mann. Er glaubt, genau wie die rheinische Missionsgesellschaft, die diesen Jungen korrumpiert hat, an die Macht der Blasphemie. Zumal hier draußen in der Wüste, wo sich Gefahren, die zu benennen er selbst in der Stadt, am hellen Tag, den Mut nicht findet, um ihn versammeln, die Schwingen gefaltet, wartend, die Ärsche im kalten Sand ... Heute abend spürt er die Kraft jedes einzelnen Wortes: die Worte sind nur einen Lidschlag weit entfernt von dem, wofür sie stehen. Der Reiz des Risikos, den Jungen arschzuficken unter dem
Klang des heiligen Namens, macht ihn halb irr vor Geilheit - Geilheit im Angesicht (der Maske) augenblicklicher Vergeltung von außerhalb des Feuers ... doch für den Jungen ist Ndjambi Karunga das, was geschieht, wenn sie sich paaren, weiter nichts: Gott ist Schöpfer und Zerstörer, Sonne und Finsternis, die Vereinigung aller Gegensätze, einschließlich Schwarz und Weiß, weiblich und männlich ... und er, in seiner Unschuld, wird Ndjambi Karungas Kind (wie alle seines übergangenen Stammes, erbarmungslos, bis jenseits ihrer eigenen Geschichte) unter dem Schweiß, den Rippen, den Bauchmuskeln, dem Schwanz des Europäers (aber des Jungen eigene Muskeln bleiben wütend angespannt während der Stunden, die es zu dauern scheint, als ob er töten wollte, doch wortlos, nur lange, klonisch zuckende Scheiben von Nacht, die über ihre Körper streichen ...).
Was habe ich aus ihm gemacht? Hauptmann Blicero weiß, daß sich der Afrikaner in diesem Augenblick im Herzen Deutschlands befindet, im Harz, und daß sie, sollte sich der Ofen in diesem Winter hinter ihm schließen, einander schon das letzte Lebewohl gesagt haben. Über die Armaturen gebeugt sitzt er, im Magen ein flaues Gefühl, die Drüsen ganz voll von Vergiftung, im Inneren des grünlich gesprenkelten Feuerleitpanzers. Der Fahrer und der Maschinist machen gerade Zigarettenpause -er ist allein vor seinem Kommandopult. Durch das verdreckte Periskop sieht er die Nebelfetzen, die sich von dem hellen Ring aus Rauhreif lösen, der die düster aufragende Rakete wie eine Bauchbinde rund um den Sauerstofftank umgibt, der gerade gefüllt wird. Von allen Seiten drängen Bäume heran, so dicht, daß man oben kaum genügend Himmel für den Aufstieg der Rakete sieht. Die Bodenplatte, eine Betonscheibe, die auf einem Stahlrahmen ruht, liegt im Zentrum eines von markierten Bäumen gebildeten Dreiecks, das die genaue Schußrichtung nach London, 260., trianguliert. Das zur Markierung verwendete Zeichen ist ein primitives Mandala, ein roter Kreis mit einem dicken schwarzen Kreuz, in dem man das alte Sonnenrad erkennt, das die frühen Christen nach der Überlieferung zu einem Hakenkreuz gebrochen haben, um ihr Ketzersymbol zu tarnen. Im Schnittpunkt des Kreuzes sind zwei Nägel in den Baum getrieben. Neben einem der farbigen Zeichen, dem westlichsten, hat jemand mit der Spitze eines Bajonetts die Worte "In hoc signo vinces" in die Rinde geritzt. Keiner der Soldaten dieser Batterie will sich zu der Tat bekennen. Vielleicht ist sie ein Werk des Untergrunds. Dennoch hat man die Worte nicht entfernen lassen. Rund um die Bodenplatte leuchten fahlgelbe Baumstümpfe, frische Holzspäne und Reste von Sägemehl mischen sich mit älterem Laub. Der Geruch, kindlich und tief, wird von Benzin und Alkohol verwischt. Regen kündigt sich an, heute vielleicht Schnee. Die Bedienungsmannschaften bewegen sich hektisch und graugrün. Glänzende, schwarze Kautschukkabel schlängeln sich in den Wald, um die Bodengeräte mit den 380 Volt des holländischen Netzes zu verbinden. Erwartung ...
Es fällt ihm dieser Tage immer schwerer, sich noch zu erinnern. Das Ritual, das ihm die Prismen schmutzverschwommen zuspiegeln, die tägliche Routine, die sich in diesen frisch gerodeten Dreieckslichtungen abspielt, hat ihm den Blick zurück verstellt, den unschuldigen Fluß der Bilder unterbrochen. Immer knapper wird die Zeit, die er mit Katje und Gottfried verbringen kann, immer kostbarer, je rascher die Schüsse aufeinander folgen. Obwohl der Knabe zu Bliceros Zug gehört, sieht ihn der Hauptmann im Dienst nur selten - flüchtig aufblitzendes Gold, das den Geometern hilft, die Entfernung bis zum Sender zu vermessen, die strömende Helle seines Haares im Wind, wie es gerade
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