Die Enden der Parabel
zwischen den Bäumen verschwindet ... Welch seltsamer Gegensatz zu dem Afrikaner - ein Negativ in Farben, gelb und blau. In einer sentimentalen Wallung, die nicht frei war von Vorausschau, hatte der Hauptmann seinen afrikanischen Jungen auf den Namen "Enzian" getauft, nach
Rilkes Bergenzian von nordischen Farben, der wie ein reines Wort zu Tal getragen wurde:
Bringt doch der Wanderer auch vom Hange des Bergrands nicht eine Hand voll Erde ins Tal, die allen unsägliche, sondern ein erworbenes Wort, reines, den gelben und blaun Enzian.
"Omuhona ... Sieh mich an. Ich bin rot und braun ... schwarz, Omuhona..." "Liebchen, wir sind auf der anderen Seite der Erde. In Deutschland wärest du gelb und blau." Spiegel-Metaphysik. Selbstverliebt in das, was er für Eleganz hielt, buchkluge Symmetrien ... Und doch, warum denn absichtslos sprechen zum spröden Berg, zur Tageshitze, zur wilden Blume, aus der er so endlos trank ... warum sonst solche Worte an die Luftspiegelung verlieren, die gelbe Sonne, die eisig blauen Schatten in den Tälern, wenn sie nicht Prophezeiung waren, wenn sie nicht weiter reichten als bloße Katastrophenstimmung, weiter als das Grauen jedes noch so flüchtigen Gedankens an sein Alter, wenn sie nicht unabhängig waren von der Undenkbarkeit jeglicher Vorbestimmung? Jenseits all dessen war ein Atmen, ein Bewegen, etwas, das für immer unter- und außerhalb seiner Worte lag, das eine Zeit des Schreckens kommen sah, so schrecklich mindestens wie diesen Winter, und die Gestalt, die dieser Krieg nun angenommen hat, eine Gestalt, die für das letzte Puzzleteil eine bestimmte Form bedingt: das Ofenspiel mit diesem gelbhaarigen, blauäugigen Knaben und Katje, seiner stillen Doppelgängerin (wer wohl ihr Gegenbild gewesen sein mochte in Südwest? Welches schwarze Mädchen, das er nie gesehen hatte, das stets verborgen geblieben war in der blendenden Sonne, im schrillen, schlackigen Vorbei der Züge in der Nacht, in einem dunklen Sternbild, dem noch keiner, kein Anti-Rilke, einen Namen gegeben hatte...). Doch 1944 kam es auf nichts davon mehr an. All diese Symmetrien waren ein Komfort der Vorkriegszeit. Nichts bleibt ihm mehr zu prophezeien übrig.
Vor allem nicht ihr plötzlicher Rückzug aus dem Spiel. Die eine Variante, für die er keine Vorkehrungen getroffen hat, vielleicht tatsächlich, weil er das schwarze Mädchen nie gesehen hatte. Vielleicht ist dieses schwarze Mädchen ein Genie der MetaLösungen - eine, die das Schachbrett umschmeißt oder den Schiedsrichter erschießt. Doch was soll nach dem Akt der Verletzung, des Zerbrechens, werden aus dem kleinen Ofenstaat? Ist er nicht doch zu reparieren? Vielleicht eine neue Mythe, eine, die angemessener ist ... der Bogenschütze und sein Sohn, der Apfelschuß ... ja, und der Krieg selbst spielt den Tyrannen... es gibt doch immer einen Ausweg, eine Rettung, neue Rollen, kein Grund, voll Panik aufzuspringen und hinauszulaufen, wo ...
Gottfried, aus seinem Käfig, beobachtet, wie sie ihre Fesseln abstreift und geht. Blond und schlank, der Flaum auf seinen Beinen nur gegen die Sonne sichtbar und dann als zartes, schwereloses Netz aus Gold, die Lider schon von feinen Fältchen gezeichnet, krausen Alt/Jung-Signalen, Schnörkeln, die Augen von einem seltenen Blau, das an gewissen Tagen, abhängig vom Wetter, über die Ufer tritt, sein Mandelbett überflutet, herausströmt und das ganze Gesicht des Knaben erleuchtet, ein Jungfernblau, ein Blau von Ertrunkenen, das die gekalkten Mauern der südländischen Gassen so unersättlich eingesogen haben auf unseren Radpartien durch Mittage des alten Friedens ... er kann sie nicht aufhalten. Wenn ihn der Hauptmann fragen sollte, wird er berichten, was er beobachtet hat. Er sieht sie nicht zum erstenmal davonschleichen, und es gibt ja auch Gerüchte - daß sie zum Widerstand gehört oder in einen Stukaflieger verliebt ist, den sie aus Scheveningen kennt ... Aber sie scheint auch Hauptmann Blicero zu lieben. Gottfried spielt die Rolle eines passiven Beobachters. Er hat das Alter, das er nun erreicht hat, die Nachricht von der Einberufung, lang erwartet, schamlos die Angst auskostend, wie bei der Einfahrt in die Kurve, die man zum erstenmal mit kontrolliertem Schleudern nehmen will, nehmt mich, schneller werdend bis zum allerletzten Augenblick, nehmt mich, der einzige Gedanke seiner Nächte. Doch die Gefahr, die er zu brauchen glaubt, ist für ihn immer noch fiktiv: in dem, womit er flirtet und liebäugelt, kommt der Tod nicht
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