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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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wirklich vor. Stets steht der Held gesund und grinsend auf, wenn sich der Staub verzogen hat, nur sein Gesicht ist rußverschmiert. Die Explosion ist bloß ein Knall, eine jähe Veränderung, rasches In-Deckung-Gehen, mehr nicht... Gottfried hat auch noch keine Leiche gesehen, jedenfalls nicht aus der Nähe. Ab und zu hört er aus der Heimat, daß ein Freund gefallen sei, oder er sieht von weitem, wie längliche, schlaffe Leinensäcke in das giftige Grau von Lastwagen geworfen werden, deren Scheinwerfer durch den Nebel schneiden ... Aber wenn ein Start mißglückt und die Rakete droht, auf dich, der sie gezündet hat, zurückzustürzen, wenn sich ein Dutzend deiner Leute im Splittergraben hinwirft, die Leiber aneinandergepreßt, und wartet, verschwitzter Wollgestank und unterdrücktes Lachen, dann denkst du nur: tolle Geschichte fürs Kasino, für den Brief an Mutti... Die Raketen sind seine Haustiere, kaum erst gezähmt, noch voller Ungestüm, allzu bereit, rasch wieder zu verwildern. Er liebt sie so, wie er Pferde lieben würde oder Tiger-Panzer, wäre er zu ihnen kommandiert worden.
    Hier fühlt er sich genommen, fühlt sich heimisch. Was hätte er, ohne den Krieg, groß zu erwarten gehabt? Aber Teil dieses Abenteuers zu sein ... Wenn du schon nicht den Siegfried singen kannst, so kannst du wenigstens einen Speer schleppen. Auf der Flanke welches Berges, aus welchem gebräunten und verehrten Gesicht hat er das nur gehört? Alles, woran er sich erinnert, ist dieser weiße Schwung nach oben, sind die gescheckten Wiesen und der Wolkenmob ... Er lernt ein Handwerk hier - Raketen zu bedienen -, und er wird Ingenieur studieren, sobald der Krieg vorbei ist. Er hegt nicht den geringsten Zweifel daran, daß Blicero sterben oder fortgehen und er den Käfig dann verlassen wird. Aber er verbindet diese Erwartung mit dem Ende des Krieges, nicht mit dem Ofen. Wie jedermann, so weiß auch er, daß eingesperrte Kinder immer in dem Augenblick befreit werden, da die Gefahr am größten ist. Die ganze Fickerei, die salzigen Stöße von Bliceros erschöpftem, oft impotentem Penis in seinen fügsamen Mund, die beißenden Züchtigungen, die Spiegelung seines Gesichts, wenn er des Hauptmanns Stiefel küßt, deren Glanz fleckig und stumpf geworden ist von Schmierfett, Öl und beim Auftanken verspritztem Alkohol, so daß sie sein Gesicht genau zu dem verdunkeln, was er nicht erkennen kann - all das ist unumgänglich, um seine Gefangenschaft zu definieren, die sonst von den gewohnten Repressionen und Schikanen der Armee nicht sehr verschieden wäre. Er schämt sich des Genusses, den er darin findet -allein ein Wort wie Hund, in einem ganz bestimmten Tonfall ausgesprochen, verschafft ihm eine Erektion, die er nicht niederzwingen kann -, und fürchtet, wenn schon nicht gerichtet und verdammt, so doch wahnsinnig geworden zu sein. Alle in der Batterie wissen von dem Arrangement: obwohl sie dem Hauptmann immer noch gehorchen, ist es zu sehen, in den Gesichtern, ist draußen, entlang der Stahlmeßbänder, zitternd spürbar, klatscht ihm in der Messe aufs Tablett, boxt ihn bei jedem Zugappell rechts in den Ärmel. Er träumt in diesen Tagen oft von einer sehr bleichen Frau, die ihn will und niemals spricht - doch dieses absolute Vertrauen in ihren Augen ... seine schreckliche Gewißheit, daß diese Frau, eine Berühmtheit, die jeder schon einmal gesehen hat, ihn kennt und ihm nicht mehr zu sagen braucht als das, was sie in ihren Blick legt, läßt ihn bebend aus dem Schlaf hochschrecken, dicht neben ihm, nur Zentimeter silbern knitteriger Seide entfernt, das erschöpfte Gesicht des Hauptmanns, müde Augen, offen wie die seinen, der Schnurrbart, an
    dem er plötzlich, schluchzend, seine Wange reiben muß, als er versucht, ihm zu beschreiben, wie sie ihn angesehen hat.. ,
    Auch der Hauptmann hat sie schon gesehen, natürlich. Wer hätte nicht? Seine Art von Tröstung besteht darin, dem Kind zu sagen: "Sie ist echt. Du hast nichts mitzureden. Du mußt begreifen, daß sie entschlossen ist, dich zu besitzen. Zwecklos, dich wachzuheulen und mich derart zu stören." "Aber wenn sie wiederkommt -"
    "Du mußt dich unterwerfen, Gottfried. Gib alles auf. Warte ab, wohin sie dich führt. Weißt du noch, wie ich dich zum erstenmal gefickt habe? Wie verkrampft du warst. Bis du spürtest, daß ich entschlossen war, in dich einzudringen. Deine kleine Rosenknospe blühte auf. Du hattest nichts, nicht einmal mehr die Unschuld deines Mundes, zu verlieren ... "
    Aber

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