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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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knitterndes Kindergesicht im Begriff ist, zu schluchzen, uchz, uchz ... Eines Nachts, im lakenkalten Refugium ihres Bettes, leckte er, selbst hin und her dösend, Jessica in den Schlaf. Als sie seine ersten, warmen Atemzüge an ihren Schamlippen spürte, erschauerte sie und schrie auf wie eine Kätzin. Es waren zwei oder drei Töne, die zusammenzuklingen schienen, rauh und gespenstisch, voll von den Schneeflocken, die sie bei Einbruch der Dunkelheit gesehen hatten. Draußen siebten die Bäume den Wind, und Lastwagen rauschten hinter den Häusern, ihr unsichtbar, endlos über Straßen und Landstraßen, Kanäle und Flüsse, die schmucklose Landschaft hinaus ... Oh, und die Hunde und Katzen, die im pulverigen Schnee ihre Spuren legten ...
    "... Bilder, ja, ganze Szenen, sie stürzen auf mich ein, Roger. Von außen. Was ich damit sagen will: Ich mache sie nicht..." Gerade zieht wieder so ein leuchtender Schwärm vor dem dunklen, isotonischen Glosen der Decke vorüber. Er und sie liegen da und atmen mit offenem Mund. Aus seinem schlaffen Schwanz sickert noch ein Faden auf seinen Schenkel herab, den unteren, Jessica zugewandten. Dem nächtlichen Zimmer entringt sich ein Seufzer, richtig gehört, Entringt Sich, ein Seufzer - altmodisches, komisches Zimmer, mir ist nicht zu helfen, einmal ein Clown, immer einer, grüngestreift, pantalonig, halskraus und ab durch den Spiegel -, heute nämlich, es ist schon merkwürdig, heutzutage summen die Zimmer, es heißt auch, sie atmen oder gar: schweigen in stummer Erwartung dahin, und das scheint hier finstere Tradition zu sein, hochgewachsene, schlanke Geschöpfe mit schweren Parfüms und fließenden Umhängen in Räumen, die von der Mitternachtsstunde bestürmt werden, von Wendeltreppen und blaublütigen Laubengängen durchstochen, das ist ein Ambiente, verehrungswürdigste Dame, in dem sich niemandem, wie provoziert oder erschüttert er auch sein mag, jemals, ein Seufzer, entringt. So etwas tut man hier nicht!
    Aber hier. Ach, diese junge Dame! Billiger, karierter Ging ham. Ungezupfte
    Augenbrauen, verwildert. Roter Samt. Einmal hat sie sich, aus Trotz, während der
    Fahrt auf der Landstraße bei Lower Beeding die Bluse ausgezogen.
    "Mein Gott, sie muß verrückt geworden sein. Was soll das? Warum passiert's immer
    mir?"
    "Gell, staunste!" Jessica schwingt die Krawatte ihrer Uniformbluse um den Finger wie eine gelernte Stripperin, "glaubst du jetzt immer noch, daß ich mich nicht traue? Wirst du mich nochmal nennen?" Natürlich trägt sie keinen BH, sie trägt nie einen. "Sei vernünftig", er wirft ihr einen flehenden Blick zu, "weißt du nicht, daß sie dich dafür einbuchten können? Was heißt dich", im Moment fällt's ihm ein, "mich, mich werden sie einsperren!"
    "Du wirst an allem schuld sein, lala." Sie schiebt den Unterkiefer zu einem Böses-Mädchen-Lächeln vor. "Ich, ich bin ja nur ein unschuldiges kleines Lamm, aber der da -" und sie schleudert ein Ärmchen nach ihm, Lichtfunken sprühen aus dem hellen Haarflaum auf dem Unterarm, ihre kleinen Brüste wippen befreit durch die Luft, "das ist Rogerder-Wüstling, die gräßliche Bestie, die mich verleitet hat zu diesem entwürdigenden... "
    Inzwischen ist der gigantischste Lastwagen, den Roger in seinem ganzen Leben jemals gesehen hat, auf kreischenden Achsen längsseits gegangen, und jetzt glotzen, nein, nicht nur der Fahrer, sondern gleich mehrere Exemplare einer Art scheußlicher Zwerge in wahrhaftigen Operettenuniformen, wahrscheinlich wieder so eine mitteleuropäische Exilregierung, aus den Fenstern des Fahrerhauses, in das man sie irgendwie reingepfercht hat, kämpfen um einen Fensterplatz wie Ferkel um die Zitzen der Muttersau und weiden sich mit Stielaugen, dunkelbraunen Gesichtern und sabbernden Mäulern am Schauspiel der skandalös entblößten Jessica Swanlake und ihres verzweifelten Roger, der nichts lieber täte, als auf die Bremse zu steigen, um hinter den Lastwagen zurückzufallen - nur, daß von hinten, o Scheiße, im gleichen Tempo wie der Lkw, eiein, ein Streifenwagen der MP erschienen ist. Er darf nicht bremsen, und wenn er Gas gibt, werden sie erst recht mißtrauisch ...
    "Äh, Jessie, Liebling, möchtest du dir nicht doch was überziehen? Bitte!" Er tut so, als suche er seinen Kamm, der verschwunden ist, wie üblich, die Verdachtsperson ist als notorisch ktenophil bekannt...
    Der Fahrer des dröhnenden Lkw-Riesen versucht, Rogers Aufmerksamkeit zu erregen, während sich die übrigen Zwerge gegen die

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