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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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Scheiben drücken, "Hey! Hey!" machen und klebrige, gutturale Lacher ausstoßen. Ihr Anführer spricht Englisch mit einem öligen, unsagbar widerwärtigen kontinentalen Akzent. Eskalierendes Armrudern und Rippenstoßen oben im Fahrerhaus. "Miiister! 'ey, Sie! Wahdnse ne Minuhde, 'ey!" Und neue Lachsalven. Im Rückspiegel erkennt Roger die englischen Bullengesichter, rosig vor Rechtschaffenheit, rote Würdenzeichen hüpfen, neigen, beugen, beratschlagen sich, wenden sich immer wieder ruckartig nach vorn, wo dieses Paar im Jaguar so seltsame - "Was treiben die eigentlich, Prigsbury, können Sie Einzelheiten erkennen?"
    "Es scheint sich um einen Mann und eine Frau zu handeln, Sir." "Idiot!" Und raus mit dem schwarzen Feldstecher.
    Durch Regen hindurch ... dann durch träumendes Glas, grün von der Abenddämmerung. Und sie selbst sitzt im Schaukelstuhl, trägt ein altmodisches Häubchen und blickt über das Deck der Erde nach Westen, wo die Ränder höllenrot aufflammen, und weiter in die braunen und goldenen Wolken ... Dann, plötzlich, die Nacht: Der Schaukelstuhl steht verlassen im gläsernen, kreidig blauen Schein - des Mondes, oder ist es ein anderes Himmelslicht? Nur der blanke Stuhl, nun verlassen, in der sehr klaren Nacht und ihrem sehr kalten Licht... Die Bilder fließen, entfalten sich, kommen und gehen, einige schön, andere einfach furchtbar ... sie aber liegt zusammengekuschelt mit ihrem Lämmchen, ihrem Roger, und freut sich an
    seiner Nackenlinie, die ganz plötzlich so - ja, genau! hier, wo sie endet, ist sein Schädel ganz höckerig, wie bei einem Jungen von zehn ... Sie küßt sich an der salzigsauren Hautstrecke entlang, die sie so gefangenhält, aufwärts und abwärts, nachtleuchtend über dem kostbaren Sehnenspiel, küßt ihn, als ob Küsse der fließende Atem selbst wären, niemals endend ...
    Eines Morgens - er hatte sie seit gut vierzehn Tagen nicht mehr gesehen - erwachte er in seiner Mönchszelle in der "Weißen Visitation" mit einem Ständer, kribbelnden Augenlidern und einem langen, fahlbraunen Haar zwischen den Zähnen. Das Haar war keins von seinen. Niemand anderem konnte es gehören als Jessica. Aber das war unmöglich - er hatte sie ja nicht gesehen! Er zog ein paarmal die Nase hoch, nieste. Draußen vor dem Fenster wuchs der Morgen. Sein rechter Eckzahn schmerzte. Er dröselte das Haar heraus, an dem noch Speicheltröpfchen hingen, Flocken von Zahnstein und Zungenpelz, und starrte es an. Haar vom Schatz am falschen Platz - unheimlich. Wie war es wohl hergekommen? Ein Fall von je ne sais quoi de sinistre, na schön. Jetzt mußte er pissen. Ins Bad schlurfend, das ergrauende, staatseigene Unterhemd locker in den Bund der Pyjamahose gestopft, fiel es ihm ein: wie, wenn das so eine blaßblaue viktorianische Gespenstergeschichte wäre, Rache aus dem Jenseits, das mysteriöse Haar eine erste Warnung ... Oh, Paranoia? Ihr hättet ihn sehen sollen, wie er die Kombinationen durchspielte, während er zwischen den stolpernden, furzenden, rasiermesserschärfenden, hustenden, niesenden, rotzverklebten Internen der Psi-Sektion seiner morgendlichen Latrinenroutine nachging. Er war damit fast fertig, als er erst anfing, an Jessica zu denken - an Jessicas Sicherheit. Der aufmerksame Roger. Wenn sie - wenn sie nun in dieser Nacht gestorben wäre, ein Unfall im Munitionsmagazin ... das eine Haar der einzige Abschiedsgruß, den ihre geisterhafte Liebe noch in diese Welt zurückschicken konnte, zu dem einzigen, der ihr je wichtig gewesen war ... Einem spinnenhaften Statistiker: seine Augen hatten sich tatsächlich mit Tränen gefüllt, bis erden nächsten Gedanken faßteoh. O Mann. Aus naß mach blaß. Wie gelähmt stand er halb über das Waschbecken gebeugt, verschob die Sorge um Jessica auf später und hätte zu gerne über seine Schulter zurückgeschaut, sogar in den alten Spiegel, mal sehen, was sie im Schilde führen, aber er war zu versteinert, um auch nur das zu wagen ... jetzt... ja, jetzt hat sich nämlich ein ganz großartiger Gedanke eingenistet in seinem Hirn, der Gedanke: was wohl wäre wenn sich hier alle - all diese Monstren aus der Psi-Sektion - heimlich gegen ihn verbündet hätten? Okay? Ja, angenommen, sie können in deinen Kopf hineinsehen! ooderwie war's mit Hypnose? Na? Plus womöglich die ganze Latte der übrigen okkulten Errungenschaften -Astralprojektionen, zerebrale Kontrolle (daran allerdings nichts Übersinnliches!), Krankbeten (Impotenz! Geschwüre! Wahnsinn! yaaahhh) -

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