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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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an anderen Orten, wo mit anderem gehandelt wird, taucht hin und wieder eines auf: schlummernd, auf dem Grund tiefer, vom Alter erblindeter Glasgefäße, vereint mit ähnlichen Dingen, oft nur ein einziges Bonbon in einem ganzen Glas, fast unauffindbar zwischen blattgoldgefaßten Turmalinen, geschnitzten Ebenholzfingerlingen aus dem vergangenen Jahrhundert, Geigenwirbeln, Ventilfedern, aufgerollten Stahlsaiten von obskuren Musikinstrumenten, elektronischen Bauteilen aus Harz und Kupfer, die der Krieg in seiner unersättlichen, alles verschlingenden Freßgier noch nicht entdeckt und mit der
    Zunge in seine finstere Höhle geschlürft hat... Orte, denen die Motoren niemals nahe genug kommen, um laut zu sein, und wo es Bäume gibt am Straßenrand. Sich innere Räume und alte Gesichter aus dem Licht einer Dachluke schälen, gelber, je später das Jahr...
    Hin und her taumelnd über dem Nullpunkt zwischen Wachen und Schlaf, sein halbsteifer Schwanz immer noch in ihr, vier Beine im gleichen Winkel entspannt... sinkt das Schlafzimmer in Wasser und Kühle hinab. Irgendwo geht die Sonne unter. Gerade noch hell genug, um die dunkleren Sommersprossen auf ihrem Rücken erkennen zu können. Im Wohnzimmer träumt sich Mrs. Quoad in die Gärten von Bournemouth zurück, zwischen die Rhododendronbüsche, in einen plötzlichen Wolkenbruch, und Austin ruft Berührt ihre Kehle, Majestät, berührt ihre Kehle! und Yrjö - zwar nur Prätendent, aber der wahre König, denn eine äußerst zweifelhafte Seitenlinie der Familie hat während der Bessarabienkrise von 18 78 den Thron usurpiert -, Yrjö in seinem altmodischen Gehrock mit blitzenden Goldtressen an den Ärmeln beugt sich im strömenden Regen zu ihr, um sie für immer vom Übel der Könige, der Skrofelkrankheit, zu heilen, er sieht genauso aus wie auf den Kupfertiefdruckbildchen, und seine liebliche Hrisoula steht freundlich und ernsthaft wartend einige Schritte hinter ihm, ringsum rauscht der Regen hernieder, die weiße, unbehandschuhte Hand des Königs schwebt wie ein Schmetterling herab, die Mulde in Mrs. Quoads Hals zu berühren, wundertätig zu berühren, so sanft zu ... berühren
    Der Blitz Und Slothrop gähnt: "Wie spät?", und Darlene taucht aus dem Schlaf empor. Als, ohne Warnung, das Zimmer plötzlich voller Mittag ist, blendend weiß, jedes flimmernde Härchen auf ihrem Nacken klar wie im Gegenlicht, während die Schockwelle über ihnen zusammenschlägt, das Haus bis in seine armen Knochen erschüttert, in die Jalousie hineinboxt, die sich in das weißschwarze Gegitter von Todesanzeigen verwandelt. Von oben das Heulen der Rakete, schwillt an, holt ihren Sturz ein, rast wie ein donnernder Schnellzug in ohrenklingende Stille davon. Draußen splittert Glas, anhaltendes, verstimmtes Zimbelklirren auf der Straße. Der Fußboden hat gezuckt wie ein angerissener Teppich, und mit ihm das Bett. Slothrops Schwanz hat sich jäh aufgerichtet, schmerzt vor Spannung. Für Darlene, aus dem Schlaf gerissen, mit hämmerndem Herzen, Hände und Finger vor Angst gekrampft, war dieser Ständer fast eins mit dem weißen Licht, dem lauten Knall. Als die Explosion zu einem wütendroten Flackern auf der Jalousie verebbt ist, beginnt sie, sich über die Gleichzeitigkeit zu wundern ... jetzt aber vögeln sie, und was macht's schon aus, warum zum Teufel sollen diese verdammten Raketen nicht auch für etwas gut sein?
    Und wer ist es, der hinter der orangeroten Jalousie so verhalten atmet? Durch einen Schlitz beobachtet? Und wo, ihr Hüter der Landkarten, ihr Meister der Überwachung, wo meint ihr, wird die nächste einschlagen?

 [1.16] Roger und Jessica

    Die allererste Berührung: Er hatte gerade wieder was Gemeines gesagt, auf Mexicos übliche Selbstquäler-Tour: ach, du kennst mich nicht, ich bin wirklich ein Schweinehund - "Nein", sofort wollte sie ihm die Finger auf die Lippen legen, "so was darfst du nicht sagen ..." Als sie die Hand ausstreckte, griff er, ohne zu denken, nach ihrem Handgelenk, schob die Hand weg, reine Verteidigung - und hielt sie doch fest, am Gelenk. Sie sahen einander starr an, keiner wollte den Blick abwenden. Dann führte Roger ihre Hand an seine Lippen und küßte sie, ohne seine Augen von ihren zu nehmen. Eine Pause, sein Herz hämmerte gegen sein Brustbein ... "Ohh..." brach es aus ihr hervor, und sie warf sich in seine Arme, völlig außer Fassung, offen, zitternd, während sie sich aneinanderklammerten. Später erzählte sie ihm, daß es ihr damals sofort gekommen

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