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Die Enden der Welt

Die Enden der Welt

Titel: Die Enden der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
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dabei, am Geländer lehnt ein langbärtiger Verwahrloster, vielleicht ein hängengebliebener Hippie, vielleicht ein Sufi, oder ein Gestörter. Ringsum Kriegsschrott zwischen den Hütten, rostiges Gerät auf den Feldern, ein blinder, perspektivloser Flecken rund um einen Schlagbaum mit ein paar Gestrandeten, Vergessenen.
    Die Straße endet vor einem Gatter, das wir passieren dürfen, um die Hafenanlage zu betreten, besser, den Schrottfriedhof, der sich da ausdehnt, wo ehemals ein aktiver Hafen gewesen sein muss. Was die Zerstörungen des Krieges zurückgelassen haben, was aus der Gegend an rostigem Metall eingesammelt wurde, türmt sich zwischen Lagerhäusern, Laderampen und einer monströsen Kran-Anlage. Über dem Brackwasser des trägen Flusses erhebt sie sich mit der opernhaften Dramatik, die frühere Zeiten in den ersten großen Maschinen der Industriellen Revolution erkannten. Wie ein Bühnenbild von Visconti, übertragen in die Welt der Maschinenpoesie, wirkt das, wie ein erhaben seinem Verfall entgegenrostendes Sinnbild hundertjähriger Technik. Und der Arm dieses Krans gestikuliert so blind über den Fluss, hinüber nach Tadschikistan, als sei er in dieser Pose erstarrt.
    Der Amu-Darja ist grau von der Tonerde, die er mitschwemmt. Er scheint sich seiner Umgebung angepasst zu haben. Versandet sind seine Ufer, das Wasser kommt oberflächlich behäbig, aber mit reißender Unterströmung daher, die sich nur manchmal durch Schlieren verrät. Vor nicht langer Zeit wollte ein Reiter auf seinem Pferd das rettende Ufer von Tadschikistan erreichen. Sie kämpften heroisch, sagen die Einheimischen, und ertranken beide.
    Breite Schlickstreifen bleiben liegen, wo sich das Wasser zurückgezogen hat, durchschossen von Prielen und brüchigen Gräben. Stromaufwärts liegt die kleine Behelfsfähre, die nach Bedarf die Ufer wechselt. Drüben in Transoxanien, so die Reisenden, beginne eine andere Welt, erkennbar am Grün der Landschaft, an den aufragenden Schornsteinen. Von russischer Seite betrieb man hier sogar einen Raddampfer, während die Afghanen Segelboote nutzten, mit denen sie selbst den Aralsee erreichen konnten.
    Als wir eintreffen, hat die Fähre gerade in Tadschikistan festgemacht, zwischen ein paar glanzlosen Industriehallen und Containern, in denen sich der Geist der afghanischen Seite fortsetzt: posthume Landschaft, Landschaft nach dem Abzug allen Geschehens, zurückgeblieben als Statthalter einer abwesenden Geschichte. Doch kaum schwenkt der Blick ostwärts, ist die Steppe wieder da, die gelbgrüne, sich in schmuckloser Weite verlaufende Steppe.
    Es bräuchte nichts, um diesen Wirrwarr aus Dreck, Ruinen und Kriegsschrott zu beleben. Als wüsste er das, kommt plötzlich ein Alter auf Krücken über die Hafenmauer. Sein Kartoffelgesicht blökt witternd in den staubgrauen Himmel. Sofort fliegen Vögel schreiend auf, schreien Kinder gleichzeitig in der Ferne. Dann ist nichts: Nur das Klappern eines Metallteils im Wind. Ein Luftzug trägt Stimmen herüber, auch die Vögel, die im Kran nisten, geben ein paar lustlose Geräusche von sich, so kratzig, dass sie kaum mehr nach Vögeln klingen. Schritte entfernen sich im Kies. Einer unserer Begleiter hat auf dem Schlick seinen Gebetsteppich ausgebreitet und absolviert seine Andacht mit nach innen gewandten Augen. Eine Feiertagsstille liegt plötzlich über dem Ort, unwirklich, wie das Ausatmen der Zeit zwischen zwei Kriegen.
    Jetzt wandert unsere kleine Gruppe vorsichtig zum Wasser. Der Platz ist so verlassen und ohne Spuren, als habe das seit Jahren niemand mehr getan. Nichts ist schön hier, aber alles so verdichtet, als seien Steinplatten und rostiges Gerät, Büsche und Wildkräuter, Abfall und Hinterlassenschaften in diese ausgetüftelte Konstellation getreten, um so vollendet fahl zu wirken.
    Unter den anziehenden Unorten, die ich gesehen habe, besitzt dieser besondere Wirkung. Geh weg, sagt er, hier ist nichts, kehr um, sieh mich nicht, halte nichts fest, sei nicht hier, löse dich auf. Ich tauche meine Hände in das gelbgrau und milchig schimmernde Wasser des Flusses. Sie greifen wie in kalt fließendes Opal, und einer wird mir erklären, dass auf dem Grund des Flusses hellenische und buddhistische Skulpturen liegen, die von Taliban dort versenkt wurden, und dass Leichen hier schwammen, weshalb das Wasser noch heute Infektionskrankheiten auslösen könne.
    Die Kaimauer ist von gelben Flechten üppig bewachsen. Ein Ponton liegt im Wasser, aber angesteuert wurde er

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