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Die Enden der Welt

Die Enden der Welt

Titel: Die Enden der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
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auch die Bananenstaude, die Süßkartoffel, der Tomatenstock. Über die unbefestigte Straße kommen Männer in Röcken, gruppenweise, manche schwankend.
    Die Aufstände im November 2006 , als sich die Demokratiebewegung eruptiv entlud, als Läden angezündet wurden und Anhänger und Gegner schließlich zusehen mussten, wie der Wind das Feuer über die gesamte Innenstadt schickte, diese Aufstände haben den alten Stadtkern völlig zerstört zurückgelassen. Die Lebensmittelbuden sind gut erleuchtet, aber vergittert. So schützen sich die chinesischen Läden vor Plünderungen. Hinter dem Gitter warten die Verkäufer wie die Arbeiter in einer Wurfbude. Die Wohnzimmer der kleinen Häuser sind meist von Neonlampen erleuchtet, draußen streunen die Hunde. Der nächste Schauer wird von einer Bö waagerecht an der Windschutzscheibe vorbeigetrieben, und im Hotel sagt die Rezeptionistin triumphierend:
    »Und? Was sagen Sie zu dem Wetter?«
    Das Hotel ist ein verkommener alter Komplex aus lauter verschachtelten Trakten, die irgendwann um ein halbverschimmeltes Haupthaus erweitert wurden. Im Halbdunkel nehme ich gleich mehrere Höfe wahr, Rasenflächen, offene Bambus-Loggien, und auch, dass der Schwamm die Wände färbt. Ich höre das Meer, ich höre die Vanu Road, über die noch jetzt langsam ein paar Autos daherkommen, ich höre zwei Trinker ins Nebenzimmer stürzen und das Rumsen ihrer Toilettentür.
    Was ich aber stärker fühle, ist eine Klaustrophobie der Weite: Von einem unüberbrückbaren Meer abgeschnitten, in der äußersten Fremde zu sein, das fühlt sich plötzlich beklemmend an. Wie eingepfercht in dieser Weite bin ich, schlaflos, noch dazu vom Straßenverkehr bedrängt und immer wieder aufgeschreckt. Wie kann man sich gefangen fühlen, wo alles so unbegrenzt, so frei, so gelöst von den Bedingungen des Festlandes ist, gelöst auch von den Bedingungen der eigenen Heimat? Verlegt man eine Raum-Diagonale von dort aus quer durch die Weltkugel, so kommt man hier auf Tonga an. Ist es also nicht gut, dass es nicht das Nämliche ist, das man findet, nicht bloß die folkloristisch gewendete andere Seite der globalisierten Welt?
    Zuletzt schob sich dieses Inselreich zum Millennium in unser Blickfeld, als die europäischen Fernsehanstalten den ersten Tag des neuen Jahrtausends gebührend feiern wollten und Tonga sich anbot, den Sonnenaufgang, den ersten der Zeitzonen, zu verkaufen. Eigentlich hätte es ja Kiribati sein müssen, ein Land aus wenigen winzigen Inseln, durch deren Mitte noch bis zum 31 . Dezember 1994 die Datumsgrenze verlief, dann entschied man, sie östlich davon zu lokalisieren. Doch was erwartete die Europäer jenseits dieser Grenze, was sie schon gar nicht mehr erwarten konnten? Der neue Tag, das neue Jahr, Jahrhundert, Jahrtausend, wie seit Anbeginn aller Tage angekündigt von der Morgenröte, und man brauchte nur etwa zwölf Stunden nach dem hiesigen Sonnenaufgang in Europa auf die Straße zu laufen, da konnte man ihn schon selbst live über dem Horizont des Jahrtausends heraufkommen sehen. Wem das allerdings zu mühevoll, zu spät, zu sentimental, oder wem das nicht echt genug erschien, der hatte schließlich das Fernsehen, und das wiederum hieße nicht so, wenn es nicht nachsehen könnte, wie in weiter Ferne dieselbe Sonne schon aufgeht, die in Europa noch untergegangen aussieht. Immerhin sagt man hier: »Die Zeit beginnt in Tonga.«
    Da also über diesem Inselreich zuerst die Sonne des neuen Jahrtausends aufsteigen würde, vermakelte man die Rechte am ersten Sonnenaufgang des Millenniums, und fast hätten wir uns zu Anbeginn des Jahrtausends über eine Premiere freuen können: einen Sonnenaufgang mit Werbeunterbrechung.
    Ich wollte an meinem ersten Tag auf Tonga die erste Sonne auch so gerne sehen, zwölf Stunden, bevor sie daheim hochsteigen würde. Am Morgen, an dem ich auf sie wartete, war um 6  Uhr 30 der Vollmond noch da. Dann schob sich ein Wolkenkissen davor, groß genug, ihn ganz zu verdecken. Auf der anderen Seite deutete sich der Tag mit einer mürrischen Lichtstimmung an, kaum entschlossen zu leuchten, auf einem kühlen Lüftchen atmend. Es knieten schon Leute in den Neonquadern der Kircheninnenräume, es warteten schon chinesische Verkäufer hinter den Vergitterungen ihrer Läden, und die Hähne schrien.
    Doch an diesem Morgen zeigte sich die Sonne nur einmal als eine zarte rote Schraffur in einer schieferfarbenen Wolkenbank, glomm ein wenig vor sich hin und war weg. Dann kehrte sie

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