Die Enden der Welt
die erdigen Maniokwurzeln in einen Korb aus Bananenblättern bettet; zwei völlig durchtätowierte Arme, die einander unterhaken; eine Frau in ihren besten Jahren, die, in einem Rollstuhl auf der Ladefläche eines Pick-ups thronend, in die Schar ihrer drumherum sitzenden Freundinnen gestikuliert, während der Wagen langsam die Straße hinunterfährt. Und der Wind hinterlässt seine Spuren, beugt die Palmen, scheitelt die Bananenstauden, reißt die Schilder vom Nagel, kippt die Fahrräder, erntet die Kokosnüsse, und wo noch eine große Muschel als Aschenbecher auf der Veranda steht, da ergreift er auch sie und lässt sie über den Asphalt schlittern, in einem Splitterregen von Perlmutt.
Abfall überall, Schniefende überall, doch selbst die Kinder in den hell- und dunkelblau abgesetzten Schuluniformen heben im Vorbeigehen halbhoch die grüßende Hand, und die Wolken machen schon wieder Stimmung und grummeln vor sich hin, und der Sud der Muscheln schmeckt wie ein Konzentrat der Luft. Die Frauen haben Blumen im Haar und die Männer Duftbäume am Rückspiegel.
Und dann die Wunderlichkeiten am Wege, »Sehenswürdigkeiten« genannt: Die »Railway Road«, die glanzloseste Straße des Königreiches, lässt sich feiern als die einzige Einbahnstraße des Landes. So kommen Menschen her und sehen sich ihre Tristesse an, ihre Tankstelle, eine Autovermietung, ihre unbebauten Parzellen, und sagen: Schau mal, die einzige Einbahnstraße, und sehen sie mit neuen Augen, und am Ende der Straße erhebt sich in einem quadratischen Rasenareal ein Gedenkstein, der in seiner Marmorinschrift den Tag feiert, an dem die Straße bis hierher verlängert wurde.
Oder sie haben eine Palme gefunden, eine aus der Art geschlagene Palme, deren Stamm sich weit oben zu drei eigenständigen Kronen trennt, der siamesische Drilling unter den Palmen. Dies ist die einzige ihrer Art im Königreich, sie gehört den Mormonen, die unweit gleich eine neue Kirche errichteten.
Oder die Pracht der Friedhöfe: der des Königsgeschlechts ist eher ein Mausoleum, isoliert durch eine abgesperrte Fläche von der dreifachen Größe eines Fußballfeldes. Stufen führen hinaus zu den Grabsteinen, bewacht von Statuen. In der Hierarchie der Pietät folgen die Gräber der Bürgermeister. Lila Schärpen wurden um ihre Wohnhäuser, Vorgärten und die Zäune gewunden.
Die Friedhöfe wirken wie hochdekorierte Baustellen: winzige, weiß aufgeschüttete Grabhügel mit kaum einer einzigen Plastikblume darin, das sind die der Armen. Die Reichen haben hohe Grabhügel, bedeckt mit Blumen und mit einem Paravent auf der Kopfseite, geschmückt mit geometrischen Mustern in vielen Farben. Das sind die, denen es an nichts mangeln wird im Jenseits. Parallel hört man die Ferkel schreien, die zu einer Beerdigung abgestochen werden.
Auch auf den Dorffriedhöfen liegen die Reichen unter hohen Hügeln mit überbordenden Gestecken an Kunstblumen und hochaufgerichteten Schauwänden, die wie Plüschdecken aussehen, während die Ärmsten oft bloß eine Bodenwelle besitzen, auf der man ein paar Kunstblumen abgelegt hat, oder im eigenen Garten verscharrt werden. So setzen sich die Wohlstandsverhältnisse bis an die Schwelle zum Jenseits durch. Doch gehört nicht den Armen das Himmelreich? Oder, weniger maliziös gefragt: Könnte man ihnen nicht die Freiheit gönnen, arm zu sein und es sogar sein zu wollen?
Nur die Grabstätte der Königsfamilie hebt sich mit Sockeln und Stufen aus dem Boden wie ein Inka-Tempel. Der Herrscher von Tonga ist George Tupou V., ältester Sohn seiner Majestät, des verstorbenen Königs Taufa’ahau Tupou IV ., Herrscher über hundertsiebzig pazifische Inseln und doch Herrscher auf Abruf. Vor Jahren schon hat ihm die starke Demokratiebewegung eine Rücktrittsankündigung abgenötigt, nur wann er zurücktreten werde, das hat er nicht gesagt. Ein Frauenheld sei er, behaupten die einen. Da er aber standesgemäß nur zwei etwas ältliche Damen heiraten könne, heirate er nicht, sondern umgebe sich lieber mit jungen, hübschen Dingern, damit die Gerüchte, er sei eigentlich eher Männern zugetan, verstummten. Er liebt Technik aller Art, besonders jene, die geholfen hat, die ausländischen Wilderer in den Fischgründen zu lokalisieren, ihre Schiffe in den Hafen zu schleppen und ihre Eigner mit einer saftigen Strafe zu belasten. Manchmal aber sitzt der Prinz auch in seinem seidenen Anzug mit italienischen Schuhen am Klavier und spielt einen Boogie-Woogie.
Ich dagegen sitze
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