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Die Enden der Welt

Die Enden der Welt

Titel: Die Enden der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
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weißen Anzug, mit einem beschlagenen Mineralwasserglas in der Linken und dem Gesichtsausdruck eines wahren Dekadents gesegnet, verfeinert verdorben.
    Nach einem kurzen, prüfenden Wortwechsel, den ich offenbar bestand, wurde mein Gepäck verstaut, und ich durfte an der Seite des Amerikaners in die klimatisierte Tiefe des Wagens sinken, eisgekühltes Wasser trinken und vom Reisen aus meiner Perspektive erzählen.
    Der Mann, ein an Geld und Phobien reicher Herzchirurg, blickte währenddessen immer mal wieder wie pflichtschuldig in die Landschaft. Doch diese Blicke erschöpften sich rasch. Mäßig interessiert, aber mit sich selbst offenbar auf missvergnügte Weise zufrieden, ließ er sich in der einen Woche Jahresurlaub, die ihm geblieben war, von einem indonesischen Fahrer durchs Grüne fahren. Dieser stammte aus dem nahegelegenen Rantepao, lebte aber gerade als Student in den USA und fiel deshalb nicht mehr ganz so indonesisch aus.
    »Also, ich fang noch mal an«, sagte der Fahrer, der Arzt lächelte gequält. »Sitzt ein Mann auf der Tanksäule …« Der Arzt schenkte mir ein bedauerndes Lächeln. »Und holt sich einen runter.« Der Arzt zuckte tolerant die Schultern: na wenn schon. »Kommt eine Frau und fragt: Sagen Sie, ist das normal? Nee, sagt der Mann, das ist Super.«
    »Das ist sehr lustig«, erwiderte der Chirurg ernst und duckte sich in den Schutz des Wagens, den er, wie ich später erfuhr, auch für Tempelbesuche nicht gern verließ.
    Als er einmal verschwand, um von einem Hügel aus ein Foto zu schießen, klagte mir der Fahrer im Stakkato sein Leid: Er bekomme kaum zu essen, Fleisch schon gar nicht, rauchen dürfe er nicht einmal im Freien, dauernd solle er Witze erzählen, und überhaupt seien die Absichten des Reisenden undurchsichtig. Ebenso undurchsichtig war mir das Prinzip dieser Reise, das allem Charakteristischen eher aus dem Weg ging und alles andere bloß aus dem Schutz des Autos wahrnahm.
    Als der Chirurg zurückkehrte, fragte er den Fahrer:
    »Was werden wir als Nächstes sehen?«
    Auf unbeholfene Weise beschrieb der Fahrer einen Tempel, der Chirurg hörte mit halbgeschlossenen Augen zu und zog einen Flunsch. Da schloss der unermüdliche Mann hinter dem Steuer seine blumige Beschreibung ab mit dem Zusatz: »an unforgettable moment!« Der Reisende würde auch den über sich ergehen lassen, suchte die Reislandschaft nach einem Fixpunkt ab und setzte nach:
    »Und heute Abend?«
    »Wir werden den Mount Pedang besteigen, wir werden ganz Rantepao überblicken können, noch dazu bei Sonnenuntergang. And this will be another unforgettable moment.«
    Das, so begriff ich jetzt, war das Prinzip der Reise: Der Chirurg befand sich im unerbittlichen Griff des Chauffeurs, und dieser zog ihn am Nasenring, denn er hatte die Zauberformel gefunden, mit der man den erkalteten Reisenden durch die Strapaze seiner Fernreise schleppen konnte: das größte Versprechen. Von »unforgettable moment« zu »unforgettable moment«. Er würde da stehen im heimatlichen Krankenhaus von Denver, Colorado, die OP -Türen würden sich hinter ihm schließen, aber sie hätte er im Handgepäck, diese persönlichen »unforgettable moments«, und er würde seinen Kollegen erzählen und in der Erzählung alles Erlebte zum ersten Mal selbst »unforgettable« finden. Wer wollte dem Strom der Erfahrungen nicht etwas entreißen, das so hieße, und womit köderte man einen, den keine Sehenswürdigkeit, keine architektonische oder kulturhistorische Bedeutung scherte? Mit dem namenlosen Unvergesslichen.
    Eine Dämmerung lang habe ich neben dem ratlosen Mediziner die Pracht des unvergesslichen Sonnenuntergangs genossen, der sich an diesem Abend als vergesslich entpuppte. Die Wolkenbänke zogen gleichmütig vor den Horizont und wollten sich nicht anschicken, den Blick freizugeben. Da ging die Sonne mürrisch unter. Ich verabschiedete mich von dem Chirurgen und mit komplizenhaftem Lächeln auch von seinem Fahrer.
    Anschließend steuerte ich, ohne mich umzudrehen, eilig das erste erkennbare Losmen am Hauptplatz von Rantepao an.
    »Hey, Mystère!«
    Dieser schneidend-dreiste, befehlshaberische Sound ist immer in der Luft, wo man auf Plätze tritt. »Hey, Mister« ist gemeint, »komm her, kauf ab, gib Geld, hör zu, kauf mich, sei mein …« Aber diese Stimme rief es ironisch. Von der Veranda des Losmens aus hatte mich Michael, mein ernsthafter Reisegefährte vom Busdach, erkannt. Wir aßen am Abend Pili Pili mit schwerer Erdnuss-Soße, und am

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