Die Enden der Welt
ausgeheult, so einem durchgedrehten Diplomatensohn. Der hat ihm westliche Klamotten besorgt, lauter verrückte Teile. Dass er in solchen Fummeln auf unseren Bühnen auftrat, war eine Sensation. Seitdem kommt er von der Mode nicht los, aber sie ist ihm unheimlich. Er verdankt ihr zu viel.«
Also hat der Krieg den Präsidenten installiert, die Mode den Musiker? Der eine träumt von der Herrschaft über das Land, der andere von der über den Weltmarkt. Ihre innigste Verbindung haben die beiden, wenn der Präsident durch Verweigerung der Drehgenehmigung die Herstellung von Bildern des Popstars unterbindet und der Popstar die Bildung einer Meinung vom Präsidenten. So leben sie in inniger Trennung voneinander, ganz nah.
Ich werde noch eine Weile lang täglich ins Informationsministerium ziehen, werde den Geldboten mit der Sackkarre wiedersehen, werde die leeren Büros passieren, manchmal auf einem Stuhl in dem Dienstzimmer an der Ecke sitzen und nicht einmal mehr meine Sache zur Sprache bringen. Ich werde ein Antragsteller sein in einem finsteren Ministerialflur im kriegerischen Kongo, ein Gestrandeter, den man vergessen hat, und der Monate später ein Verwilderter, ein anderweitig zu Berücksichtigender sein könnte. Alle Wege enden hier, kein Schritt führt weiter.
Ein paar Jahre später hat die Politik beide eingeholt: Kabila wird von seinen Anhängern, seiner Palastwache, dem Sicherheitsdienst, möglicherweise Teilen seiner Familie in seinen Räumlichkeiten hingerichtet. Eine zuverlässige Darstellung der Umstände steht aus, der Sohn Joseph Kabila kommt an die Macht.
Papa Wembas musikalische Laufbahn explodiert nicht. In Interviews bietet er sich zwar als politische Kraft der Integration an, doch ist die Zeit über seine Stimme hinweggegangen. In Paris wird er stattdessen inhaftiert, als bekannt wird, dass er Landsleuten für viel Geld die illegale Einreise nach Frankreich ermöglicht haben und einen ganzen Schleuserring unterhalten haben soll.
Als wir aber an jenem Herbstnachmittag Kinshasa verlassen, sind der Präsident und der Popstar noch auf ihren Positionen. Nie habe ich ein Land so gerne verlassen wie dieses, und auf dem Flughafen nimmt auch die Welt folgerichtig wieder die alte Pose an: Da stehen die Sitzmöbel-Packer wieder zuverlässig am Band, regiert von Kabila, beschallt von Papa Wemba. Ihre Arbeit ernährt alle beide. Doch eine Gewissheit bleibt. Als wir auf der gelben Markierung auf unser Flugzeug zulaufen, drehe ich mich um. Wie tröstlich: Einer winkt immer.
Chiang Mai
Opium
Ich fuhr nach Chiang Mai zum »Opiumessen«. Seit Thomas De Quincey ist das der geläufige Ausdruck. Auch, wenn man es längst nicht mehr isst, im Hustensaft zu sich nimmt oder gegen die Grippe schluckt wie noch zur vorletzten Jahrhundertwende. Man raucht, man inhaliert es, man nimmt es sich zur Brust und lässt es schwärmen, und ich denke, jeder sollte in seinem Leben einmal Opium geraucht haben. Jeder sollte wissen, was das Gehirn kann, und wer sagt: Dafür muss ich nur Berge erklimmen, Marathon laufen, von Klippen springen oder ganz schnell die Treppe hoch steigen, der weiß nicht, wie viele Metamorphosen das wilde Tier durchmachen kann, das wir in unserem Schädel beherbergen.
Ich fuhr nach Chiang Mai im Norden Thailands im Zug, eingepfercht in den kurzen Kasten eines Hochbettes, das nur durch einen Vorhang vom Gang abgetrennt war. Auf einem Zettel, den der Schaffner jedem vor Antritt der Fahrt zum Lesen vorlegte, wurden wir gewarnt, keine Erfrischungen von Mitreisenden anzunehmen. Es handele sich dabei oft um narkotisierende Getränke, die uns bewusstlos machen sollten, damit man uns besser ausrauben könne. Die einzige narkotisierende Substanz, die ich zu mir nahm, war eine Flasche »Tiger Beer«, die Helen und Mark, zwei Australier in den Flitterwochen, mir aus dem Speisewagen besorgt hatten.
Es saß auch eine Kupplerin im Zug, die mir, der ich verwaist und ohne Braut reiste, die Frauenschönheiten auf einem Faltblatt erläuterte, die alle schon in Chiang Mai auf mich warteten. Am Ende befand sie, meine Moral sei meine Behinderung.
»Wie recht Sie haben«, erwiderte ich, »aber trotzdem kann ich sie so wenig ändern wie ein appes Bein.«
Da machte sie ein Gesicht wie ein runzliges Gürkchen und trollte sich.
Als es draußen ganz sachte dämmerte, zog ich das Fenster herunter und inhalierte die Luft, die aus den Regenwäldern kam. An den Bahnstationen reichten die Leute Kokosnuss, Mango, Ananas und Klebereis
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