Die Enden der Welt
Opium rauchen wollten, bestätigte ihn nur: natürlich, was sonst?
Den Nachmittag verbrachten wir im aussichtslosen Versuch, im Dorf nicht aufzufallen. Wir gingen zum Fluss und wieder zurück, richteten uns in unserer Hütte ein, einem Pfahlbau, der meterhoch aus dem Morast ragte, streiften am Waldsaum herum und lachten jeden an, der uns begegnete. So kannten die Einheimischen die Reisenden, alles Rastlose, Neugierige, die sich in ihren Kleidern und Gesten hundertmal verrieten, ohne dass sie selbst es wussten.
Am Abend wurden wir wieder zum Dorfältesten einbestellt. Um einen Topf Tee in der Mitte waren jetzt Matten ausgerollt worden, ein Maiskolben lag bei der Feuerstelle, und der hohlwangige, ausgemergelte Mann, der da allein in verschossene, altrosa gefärbte Tücher gehüllt, Platz nahm, wurde uns als »Medizinmann« vorgestellt – ein Süchtiger, wie der erste Blick diagnostizierte, einer, der, wie Richard uns mitteilte, die Verfügung über das Opium im Dorf besaß und inzwischen bei einem Konsum von etwa vierzig Pfeifen pro Tag angekommen war.
Als Erstes forderte er uns auf, uns in den Büschen noch einmal zu erleichtern, denn das werde uns später schwerfallen. Anschließend nahmen wir im Quadrat um die Feuerstelle Platz. Wer ein Pfeifchen wollte, legte sich im rechten Winkel zum Medizinmann, der selbst anrauchte. Der Dorfälteste sah abseits zu, wie zuerst das Opium aus einem Döschen genommen, portioniert, zwischen den Fingern erwärmt, gerollt und dann als Kügelchen auf den kleinen Trichter der langen Pfeife gesetzt wurde.
Ein, zwei Atemzüge nur, dann war das Klümpchen, blasenwerfend und siedend, durchgeschmurgelt und in den Abendhimmel entkommen. Sein Aroma aber blieb, dieses frische, Kräuter und Blätter sanft und würzig mischende Aroma ohne jede rauchige Note, es blieb und weitete sich zu einem Wohlgefühl aus, einem Behagen, nicht mehr. Nein, dieser Rausch würde keine Geiseln nehmen, er würde nicht mit halluzinatorischen Schwärmen und Phantasmagorien kommen, nicht rücklings über das Bewusstsein herfallen, er war im ersten Augenblick vollentfaltet da, schwach, aber klar und freundlich.
Der Medizinmann legte ein Maiskorn vor mich und schenkte einen Becher Tee ein. Ich lehnte mich zurück mit hinter dem Kopf verschränkten Armen – wie so weit und still die Welt!
Mark und Helen folgten mir nach und nahmen ihren kleinen Rausch ähnlich in Empfang, überwunden, nicht überwältigt.
Mit der zweiten Pfeife vergrößerte sich der Abstand vom Boden, und der Überblick wurde besser. Wir waren Freunde. Alle Lebenslinien trafen unter diesem Dach auf ihrem einzigen möglichen Schnittpunkt zusammen. Da war kein Jenseits zu diesem Moment. Man musste nur in die Tiefe des Wohlwollens hinuntersteigen und bleiben.
Bleiben.
»Ich kannte einen«, sagte Mark, »der rauchte Pilze und sagte, nun sehe er die Welt mit den Augen der Pilze.«
»Will man das?«
»Zur Abwechslung.«
»Bist du vielleicht im Begriff, die Welt durch die Kapsel des Mohns zu sehen?«
»Warum sollte ich nicht versuchen, die Natur aus der Natur heraus zu betrachten und dabei auf mich und dich zu sehen?«, insistierte Mark.
»Ich will nicht das Bild sein«, sagte ich sinnlos, »sondern das Sehen.«
So eingeweiht redeten wir weiter, sinnvoll oder sinnlos, endlos oder auch nicht endlos, denn für das Sinnvolle und Endliche fehlte uns gerade jedes Gefühl.
Richard bastelte abseits am Schirm seiner Mütze und machte ein unheilbares Gesicht. Aus den schwarzen Schatten im Inneren der Hütten blitzten manchmal die bunten Borten der Kostüme, der kaftanartigen Gewänder aus schwerem schwarzen Tuch mit ihren buntbesetzten Säumen. Die nächste Kugel Opium brodelte in der Pfeife und zog sich in sich zusammen wie ein Himmelskörper bei der Entstehung.
»Zuletzt wird es immer besser«, meinte einer der Dörfler aus der zweiten Reihe und bestrich sich die Zigarette mit Opium. Ein anderer spuckte den Saft der Betelnüsse aus. Auch Frauen saßen im Hintergrund der Hütte und wollten uns rauchen sehen. Kleinste Kinder trugen Silberschmuck, Bienenschwärme rumorten im toten Holz, und aus dem Wald kam ein Dröhnen und Rascheln.
»Seid ohne Sorge«, sagte der Dorfälteste. »Wir haben Zäune gegen die wilden Tiere.«
Wir fühlten sie nicht, wir starrten nur in die geistige Ordnung, die »Sorge« heißt.
Stunden später zählt der Dorfälteste sieben Maiskörner vor meinem Platz. Wir haben die Suppe nicht angerührt, die inzwischen für uns
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