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Die Enden der Welt

Die Enden der Welt

Titel: Die Enden der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
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einen Kiosk im Hof, wo sie »Fanta Orange« verkaufen und wo ebenfalls ein paar junge Frauen im Schatten sitzen und warten. Für Angestellte der Regierung sind sie zu stark geschminkt, noch dazu mit einem Make-up, das sich maskenhaft über den Ausdruck ihrer Aids-Erkrankung legt. Erst hat die Krankheit die Gesichter gezeichnet, dann haben die Frauen alles übermalt. Jetzt blicken die Augen, von Kajalstift und Eyeliner unterstützt, noch ausdrucksvoller aus ihren Höhlen, und die Wangen glühen fiebrig durch dicke Schichten Rouge, die deplatziert auf der dunklen Haut liegen. Etwas in diesem Blick ist nie dort, wo er ankommt. Etwas stiert in die Schwäche und kann die innere Aufmerksamkeit nicht vom Sterben lösen.
    Im zehnten Stock des Ministeriums, hat man uns gesagt, werden wir unser Dokument bekommen, das alles entscheidende Dokument, ohne das unsere Kameraarbeit ein Verbrechen ist. Jeden Tag gehe ich nun ins Ministerium auf der Suche nach dem Verantwortlichen und seiner Unterschrift. Vor dem Fahrstuhl im Parterre schleppt ein Arbeiter auf seinem Rücken immer neue Zementsäcke heran.
    »Sie bauen?«, frage ich ihn, als der sechste Sack donnernd auf dem Stapel gelandet ist.
    Er lacht, beugt sich mit verschwörerischer Miene hinunter und öffnet einen Riss in der Verpackung mit zwei Fingern.
    »Nein«, antwortet er, »es ist nur Geld«, und sein Finger krault die Spitzen der Banknoten.
    »Alles in Cent?«
    »Ich bringe die Gehälter der Angestellten, ja, sie sind zahlbar in Cent.«
    Das Geld reist mit im Aufzug. Aber auf jedem Stockwerk öffnen sich die Türen ins Dunkel. Menschen steigen aus und verschwinden in völliger Finsternis, das Geld geht denselben Weg. Von Büro zu Büro werden die Bündel mit der Waage abgemessen – angesichts der Inflation die einfachste Zahlungsform.
    »Sie verdienen ein Pfund?«
    »So etwa.«
    Kein Laut ist zu hören, nicht mal ein Telefon. Auch im zehnten Stock ist der Geruch der Fäulnis nicht dünner geworden. Der Arbeiter ist mit der Sackkarre voller Geldsäcke in der Tiefe der schwarzen Flure verschwunden. Ich taste mich weiter durch die menschenleeren Gänge, zu denen sich nur hier und da der helle Quader eines behausten Büros öffnet.
    In einem Dienstzimmer am Ende des Flurs finde ich schließlich trotzdem den ganzen »Vorgang«, der meinen Namen trägt. Schwer vorstellbar, auf welchen Wegen unsere Akten gereist sind, um in dieser Schublade zu landen. Sie sind inzwischen mit hellem Staub, mit Fingerabdrücken in Berührung gekommen. Doch es hilft alles nichts. Mehr Dokumente, mehr Passfotos werden angefordert, mehr Geld wird nötig sein.
    In den kommenden Tagen muss ich mehrmals täglich im Ministerium vorsprechen, mit einer Sekretärin dünnen Kaffee trinken, Freundschaften schließen, Motivlisten beibringen, Impfpässe und andere Schriftstücke mit Dokumentencharakter ausbreiten, eine Unterschrift fälschen, sogar einen Besuch Papa Wembas in Aussicht stellen, und in all der Zeit werde ich immer genau wissen, wo sich der Informationsminister gerade aufhält, der sicher nicht weiß, wie ausdauernd ich mit ihm lebe. Trotzdem wird es sich als unmöglich erweisen, den Minister und unsere Dokumente an irgendeinem Punkt zusammenzuführen.
    Einmal sehe ich sein Gesicht ganz kurz auf einem schwarz-weißen Fernsehschirm unter den Zuhörern einer Parlamentsdebatte. Die Sekretärin zeigt ihm mit dem Zeigefinger ins Gesicht:
    »Da! Er ist da! Jetzt müssen wir nur noch diesen Mann und dieses Papier hier zusammenbringen, und Sie können loslegen!«
    Ob er je von unserem Anliegen erfahren hat? Seit Tagen drehen wir ja illegal, dicht an Papa Wemba gedrückt, weil man in seiner Nähe immer sicher sei. Er wiederum zählt die Kamera unterdessen zu seinen Insignien und zeigt seinen Landsleuten gerne, dass er im Glanz der Weltöffentlichkeit reist.
    Wir fahren in sein Haus am Stadtrand, filmen vom Rand des Swimmingpools aus, wie er oben auf der Veranda steht. Er winkt. Wir bauen die Kamera in seinen Rücken, blicken in den Garten. Er winkt wieder.
    »Hätten Sie sich je träumen lassen, als der kleine Junge aus der Provinz, einmal hier anzukommen?«
    »Ich habe es immer gewusst. Immer. Dies ist kein Zufall. Denn es war vorherbestimmt. Immer. Und eines Tages werde ich auf der ganzen Welt explodieren.«
    »Vorherbestimmt«, ketzert ein einheimischer Musiker, dem ich die Geschichte abends erzähle. »Gefeuert haben sie ihn bei Zaiko Langa Langa. Darauf hat er sich bei seinem besten Freund

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