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Die Enden der Welt

Die Enden der Welt

Titel: Die Enden der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
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in Bananenblättern zum offenen Fenster herein, und ich war so glücklich, dass ich »Guantanamera« sang und danach Eric Burdons »When I think of all the good times I’ve been wasting having good times«.
    Gemeinsam mit dem Brautpaar quartierte ich mich im »Je t’aime«-Guesthouse ein. Das hieß wirklich so, aber bis auf Kondome in der Nachttischschublade erinnerte nichts an die Liebe. Abends gesellte sich mit ihrem gefüllten Glas eine braungebrannte Schweizerin zu uns mit blankpolierten Armen und Beinen und beachtlichem Redefluss.
    Ich sagte: »Du hast so schöne Gliedmaßen.«
    »Danke«, erwiderte sie. »Aber was war das noch mal: Gliedmaßen?«
    Dann erzählte sie weiter von Orten, an denen wir gerade nicht waren.
    »Wir haben ja letzte Woche noch Singapur gemacht. Da hatten wir so schönes Wetter, das war so wunderschön. Am Abend hatten wir Karten fürs Theater. War fast zu schön fürs Theater. Theater schau ich ja lieber, wenn sonst nichts ist, aber das war schön, da haben wir Gorkis Sommerfrische gesehen.«
    »Sommergäste.«
    »Nee. Das heißt Sommerfrische. Immer wenn das Wetter jetzt wieder mal so schön ist, sag ich gleich: Ist ja so schön wie in Gorkis Sommerfrische.«
    Am nächsten Tag entschieden Helen, Mark und ich, das »Je t’aime« zu verlassen. Einer der Fahrer hatte sich mit der Sicherheitsnadel ein selbstgemaltes Namensschild an die Brust geheftet und befunden, dass »Richard« gut zu ihm passe. Auf der Straße vor dem Guesthouse erwartete er täglich seine Kundschaft. Uns bot er sich als Führer in den Dschungel an, in die entlegeneren Dörfer der »Stämme« aus dem »Goldenen Dreieck«, die noch ganz unbehelligt vom Staat nach ihren eigenen Regeln lebten, wie er uns erklärte.
    »Wenn sie zum Beispiel Sex machen wollen«, führte er aus, »müssen sie die Frau heiraten. Deshalb probieren sie es oft erst mal an Verwandten aus. Jetzt könnt ihr euch vorstellen, was dabei rauskommt.«
    Wir stellten uns Kopffüßler vor und sahen dann in den Dörfern wirklich Missbildungen, Kinder mit riesigen Füßen, Schädel mit Deformationen, Einfältige, die sich stundenlang mit einem Insekt unterhielten oder ihre offene Hand wie am Marionettenfaden vor sich herbalancierten, gleich, ob man sie mit einer Münze oder einem Bonbon beschwerte, und wenn sie rauchten, dann waren es dicke Zigaretten, gedreht aus Bananenblättern.
    »Die Regierung erlaubt ihnen sogar, Opium anzubauen. Das gehört zu ihrer Religion und auch zu ihrer Medizin.«
    Auf dieser Basis sieht Richard auch die eigene Arbeit ein wenig gerechtfertigt und ethnologisch aufgewertet.
    »Immerhin ist die Lebenserwartung in diesen Dörfern um zwanzig Jahre höher als im Rest des Landes.«
    Auf den Mohnfeldern standen die Pflanzen gut im Saft, die Kapseln strotzten mit mehlig-grünen, schiefrund geschwollenen Kapseln. Am Rand der Felder lungerten mit ihren Bauernflinten ein paar Wächter, die uns übellaunig abhielten, die Felder in der Diagonale zu durchqueren.
    Das nächste Dorf duckte sich zwischen die Ausläufer des Regenwaldes in eine Talsohle. Es hatte die Farbe der Landschaft angenommen als soziale Mimikry: die Hütten aus dem Holz der Bäume, gedeckt mit ihren Blättern, befestigt zwischen den Stämmen, mit einem Netz von Pfaden verbunden. Hühner und Schweine liefen frei, die Männer waren auf den Feldern, die Frauen saßen und rauchten. Auch einen Dorfältesten gab es, mit einem sympathischen, doch irgendwie infamen Gesicht, das er, nachdem er länger vor sich hin gesprochen hatte, abrupt anhob, um seinem Gegenüber lange forschend in die Augen zu sehen.
    Wir tranken seinen Tee, hörten seinen Klagen über die ferne Regierung in Bangkok zu und suchten seine Zuneigung, Durchgangsreisende, aber in seinen Augen auch Durchgangsmenschen. Wir würden gehen und in unseren Städten verschwinden, aber ebenso würden wir überholt und weggewischt werden »wie Blasen auf einer Pfütze«, wie jemand angeblich in Gorkis »Sommerfrische« sagt. Sein Mitgefühl hatten wir, weil wir so waren, sein Selbstmitleid aber bezog sich auf den ewigen Menschen, der er war. Er hatte ein anderes Recht.
    Wie er da saß, in seinem bunt-geringelten Wollpullover, mit der einen Hand eine langstielige dünne Pfeife haltend, die andere auf dem Rücken eines Hundes, zwischen seinen Decken, seinem rußgeschwärzten Hausrat und in seinem Recht, machte er uns zu dem, was er in uns erkannte: Décadents, ausgestattet mit der Attitüde der Zivilisationsmüdigkeit. Dass wir

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