Die Enden der Welt
Polyesterhemd des jung gebliebenen Schwulen, und der schreit wie einer, der im übertriebenen Diskant einen Schwulen nachmacht. Sein Hemd brennt jetzt lichterloh, er kann sich kaum befreien, kaum zieht er es, in die Flammen greifend, über den Kopf, fangen auch die Haare Feuer. Es frisst sich immer noch aufwärts, an der Brust hoch. Erst riecht es faul, dann beißend, in einer Krause aus Flammen zappelt der Hals.
Einer kommt, reißt ihm den Polyesterfetzen von der Brust. Die lesbische Hünin am Nachbartisch wollte heute Abend ihren Eltern die Freundin vorstellen, traute sich aber nicht, diese unter aller Augen zu küssen. Nun stürzt sie geistesgegenwärtig hinzu und wirft das Tischtuch über den Mann, der sich im Tuch, im Rauch, in den Armen der Helfenden verwickelt, immer noch in hohen Tönen schreiend, und plötzlich aufgerichtet und weißhäutig aus den Tüchern taucht, und so da steht, in der hellen Unterhose, windschief und mit der Mimik von Munchs »Schrei«, während der verbrannte Geruch durch das Lokal zieht, parfümiert von den Aromastoffen, die vom Eingang hereinschwirren, und sich ein Mann vom Nebentisch vorbeugt, der besseren Sicht wegen, da das Opfer jetzt weggeführt wird und der bleiche Oberkellner schon von Tisch zu Tisch stürzt und jedem erklärt, wie das passieren konnte, dieweil andere spekulieren, dass das Lokal nun für immer geschlossen werden müsse, da man diesen Gerichtsprozess niemals gewinnen könne.
Aus dem Klo hört man immer noch das Wimmern des verbrannten Mannes, der dort auf dem Boden kniet, um sich den Nacken kühlen und mit Mehl bestäuben zu lassen, weil jemand dazu geraten hat, während ein anderer meinte, das sei »das Falscheste, ich wiederhole, das Falscheste, was man tun kann in diesem Fall«. Die Geschäftsführerin kommt fassungslos auch an unseren Tisch, weil sie jetzt überall die Petroleumlampen einsammeln muss, und formuliert im selten verwendeten Futurum zwei:
»Das wird ein schwarzer Tag gewesen sein.«
Wenig später hören wir die Sirenen des Rettungswagens, alle blicken zur Tür, die lesbische Hünin nutzt die Gelegenheit und küsst überfallartig ihre verdutzte Freundin, und der Mann am Nebentisch versucht sich an einem Witz: »Hier flambieren sie selbst die Gäste.«
Manche reden, wie Hunde ihr Bein heben.
Am nächsten Tag machen wir uns endlich zum Kap auf, einem offensichtlichen, zu offensichtlichen Ende der Welt. Die Landschaft davor liegt da wie Helgoland, vernebelt und karg, dann ein geschlossenes Gatter, das uns eigentlich, nach den Angaben auf einem Täfelchen, seit den frühen Morgenstunden offen stehen sollte. Wird es heute überhaupt geöffnet? Wir lungern eine Zeitlang herum, ohne dass etwas passiert, dann geben wir auf.
Abends kehren wir vom Ausflug in die Weinberge zurück und finden uns wieder auf dem äußersten Zipfel des Kaps ein. Die Landschaft ist immer noch zeitlos vernebelt, doch steht das Gatter jetzt offen. Auf einer Holztafel davor kann man lesen, dass dies hier der Eingang zur Südspitze des Kontinents sei. Ein Bus Japaner hält an und tut alles, um das Klischee zu erfüllen. Beschirmt und behütet ergießt sich die Ladung auf den Platz, alle fotografieren das Schild, alle steigen wieder ein, ohne Einlass begehrt zu haben. Wir streben weiter der Landspitze entgegen. Doch in der Kabine bei der Schranke sitzt der Hüter des Schlagbaums. Er zeigt auf die Uhr:
» 18 Uhr, wir schließen.«
Es ist nicht 18 Uhr, es könnte allenfalls 18 Uhr werden, und wir könnten es versäumen, rechtzeitig zurück zu sein. Wir verhandeln, was nicht verhandelbar ist. Unser Recht ist verwirkt. Der Mann hat die Spitze eines ganzen Kontinents in seiner Hand.
»Sie haben heute Morgen zu spät geöffnet. Könnten wir nicht diese Verspätung jetzt wiederhaben?«
»Nein.«
Am Ende blieb dies Ende der Welt geschlossen. Doch von einem günstigen Blickpunkt aus, von einer Biegung der Straße Richtung Westen, sahen wir die ominöse Kuppe liegen. Sie hatte nichts von dem Kontinent, der hier auslief, nein, sie war eine Irgendwie-Kuppe auf einem Irgendwo-Hügel, eine einzige Verweigerung, Belvedere und Bellavista, Land’s End und Finistère zu sein. So ersparten wir uns die Verlegenheit der Touristen vor der Aussicht.
Wir warteten also an der Straßenbiegung und erlebten das Drama des Reisenden: Er muss feststellen, dass er von nichts bewegt wird, keinen Zweck seiner Reise und deshalb auch keinen des Arbeitslebens finden kann, das er ertrug, um sich die
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