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Die Enden der Welt

Die Enden der Welt

Titel: Die Enden der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
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Grönland vorbeigetrieben oder der Mann im Duschvorhang aufgegriffen worden wäre, hätte er nichts zu erzählen, weil er ja meist nur aus dem Fenster sieht.
    »Sie sind ein einsamer Mann«, sagte ich, denn es war Zeit, persönlich zu werden.
    »Warum soll ich einsam sein?«
    »Weil Sie zu intelligent sind, es nicht zu sein.«
    Er blickte, ohne zu sehen. Dass ihm die Augen vollliefen, war hinderlich und machte, dass er gleich härter wurde.
    »Alone«, sagte er, »wussten Sie das: Es kommt von ›all one‹.« Dann schluckte er den Rest aus seinem Glas, schwankte ganz unpolizeilich auf die Bühne und sang »c’est la vie, c’est la vie« in einer rumpelnd uneleganten Version, und ich schloss das Fenster, damit die Fahnenschnüre seinen Gesang nicht störten.

God’s Window
    Letzter Vorhang
    Wie soll das enden? In welcher Landschaft soll sich dieser Kontinent verlaufen? Hat man ihn von Norden nach Süden durchquert, uneingeschüchtert vom Brüten des Kontinents, seiner labilen Gelassenheit, seinem Phlegma, seiner Durchlässigkeit für den Ernstfall – wo ankommen? Man kann diesen Kontinent der Länge nach nur so durchqueren, dass man ihn zuletzt auch durchlitten hat. Er kann nicht enden. Kein Akkord ist vorstellbar, in dem er verklingen würde, kein Crescendo, kein Finale. Also ein Diminuendo, ein Fade away, ein Ausblenden.
    Irgendwo vor Kapstadt weicht Afrika zurück und wird Allerweltsland, adrett und appetitlich, mit Straßenkehrern und Weinfarmen, Freizeitvergnügen und Golfplätzen. Aus diesem Schweizer Ambiente erhebt sich Kapstadt mit seinen »Served Apartments« und »Guarded Communities«, seiner Strandzeile mit Bistros und Cappuccino-Bars, mit Surfern, die mit ihren Brettern die Straßen überqueren, und weißen Witwen vor farbigen Cocktails. Von Kapstadt aus betrachtet, liegt Afrika so fern wie Indien.
    »Keep the Cape in Shape«, fordern die Plakate. Die Pilates-Turnerinnen rumpfbeugen sich auf der Wiese, und die Arbeiter lagern in ihren orangefarbenen Westen im Straßengraben oder auf zwei zusammengeschobenen Mülltonnen und schauen zu. Oder betrachten das große Schaufenster Strand mit all seinen Offerten.
    Aurora mit dem Sonnenstern, so posieren die Touristen: Ins Hohlkreuz gehen und der Sonne beide Arme entgegenstrecken, nackt wie Fidus, der Lichtgläubige, bei seinen nudistischen Freiluftübungen. Schau, so heimisch kann ich hier sein, flüstert die Seele der Touristin, und auch der fast nackte Athlet an ihrer Seite reckt sich stolz in das himmlische Flutlicht.
    Die Weißen kultivieren jetzt defensives Sonnenbaden, so geschützt wie dosiert. Die Sonne ist feindlicher und der Mensch pragmatischer geworden: Diese Sonne scheint, damit man eine Brillenmode gegen sie entwerfen kann und einen Lichtschutzfaktor entwickeln und eine Anti-Allergen-Salbe auftragen.
    Auf älteren Fotos dagegen räkeln sich die Menschen noch einladend ins Licht, ja, ihre Hingabe hat etwas so Obszönes, als wollten sie von der Sonne regelrecht »genommen« werden. So lustvoll war das in den alten Zeiten des Sonnenbadens. Dieses Beinespreizen, Alle-viere-von-sich-Strecken, diese Willenlosigkeit! Junge Menschen drücken vor der Sonne noch immer Bereitwilligkeit aus, einen verschwenderischen Umgang mit ihrer Nacktheit, die Alten dagegen kauern sich heute nur noch gebückt und vom Licht abgewandt. Wie angespült liegen sie da. Und wenn sie eine Weile so gelegen haben, dann haben sie manchmal schon zu lange gelegen, sind erst schwach, dann verdrießlich geworden.
    Die schwarzen Arbeiter auf den Müllcontainern schauen auf den Strand wie Anthropologen. Der Weiße ist komisch und als Sonnenanbeter noch komischer. Ein menschlicher Bratenwender, ein Kulinariker, der sich zur Delikatesse veredelt, indem er liegt, sich dreht, grilliert und auch noch ein Versprechen damit verbindet.
    Die »Miner’s Convention« tagt in der Stadt.
    »Ist das gut fürs Geschäft?«, frage ich den Taxifahrer.
    »Diabetes war besser«, sagt er.
    » 12   000 Diabetiker auf einem Fleck«, so schreibt auch der »Weekend Argus«, »das zahlt sich aus wie nichts Zweites.« Auch die ehemalige Miss Südafrika, die heute Benefiz-Mahlzeiten rund um Nelson Mandela veranstaltet, schwärmt von den Diabetikern in Begriffen, die man in den USA für Parteispender verwendet. Wir sitzen in einer größeren Runde am Wasser. Afrika ist gerade unsichtbar. Der Blick geht auf eine Uferstraße, man trinkt Latte macchiato und abwechselnd Weißwein aus aller Welt und

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