Die Enden der Welt
Spielen der erwachsenen Kinder. Am Ende ist wenig zu erfahren von dem, was jene Weltflüchtigen in ihrer Abgeschiedenheit tun, aber der Atem, mit dem sie sich wegwandten, belebt diese Ferne immer noch. Und doch haben in dieser Gegend auch die alten Bauern Angst vor der Einsamkeit. Ihre Kinder ziehen auf und davon, die Siedlungen bei Puerto Bertrand werden allmählich verkauft, und selbst die Aussiedler gestehen:
»Wir leben unserem Heimweh entgegen. Die meisten bekommen es nach zehn Jahren. Aber wir haben keine Lust auf diese Lust, heimzukehren, keine Lust, überhaupt je umzukehren.«
Und dazu blicken sie trotzig, bereit, sich prophylaktisch zu entmündigen, sollten sie je anders denken. Also hoffen sie alle auf den Tourismus. Aber das Rinnsal der wenigen Reisenden, die kommen, spült kaum Geld herein, und so bauen die Einheimischen in der Zwischenzeit dem erwünschten Boom entgegen. Doch jeden Schotterweg, in den man hier hineinfährt, muss man komplett wieder zurückfahren. Überall enden Verkehrswege, und wo sie veröden, da wartet nur noch ein Pfad, der hinter eine Hütte führt und sich im Dickicht zu Füßen der Anden verläuft.
Die kleinen Siedlungen sind Flucht- und Rückzugsorte, an denen sich Gemeinschaften bilden, in deren Mitte eines Tages der Wunsch nach neuen Fluchtorten geboren werden wird. Auch weil die Luft so klar ist, scheinen alle Farben kräftig. An einer Leine zerren tibetische Gebetsfahnen, davor treibt der Rauch waagerecht aus den Schornsteinen. Jedes der ovalen Holzschilder gibt ein gemaltes Versprechen: ein schöner Blick, ein weiches Bett, ein warmer Ofen, und in einem Wohnzimmer aß ich heißhungrig so viele dieser in Öl gebratenen, sumpfdottrig gelben Eier, dass ich noch Tage danach meinen Ekel in Wellen kommen und abebben fühlte. Jäh in die Stille gellen die Sirenen der Motorsägen. Immer tiefer in die Einsamkeit fressen sich die Schneisen – alles für die Zukunft eines Landes, das nur für wenige Monate im Jahr blüht.
Am Ende des langen Prozesses der Naturunterwerfung musste sie schließlich entstehen: die Liebe der Reisenden zu dominanten Landschaften. Sie erblicken die Natur jetzt gerne in einem Zustand, in dem sie noch nicht verloren hat. Sie besuchen sie ja nur, sehen ihrem Aufbäumen mit Respekt, aber auch Nachsicht zu. Noch siedeln die Menschen hier demütig, defensiv, und lassen sich ihre Gefährlichkeit nicht anmerken – wie die Wildrose, wie der Fuchs, der Hase. Sie alle bringen das Prinzip der Unterwanderung, der feindlichen Übernahme in diese Natur.
Der Reisende aber genießt die Landschaft, solange sie nicht unterworfen aussieht. Er bewundert sie, wie um in ihr die eigene vorzivilisatorische Vergangenheit zu bewundern. Doch im selben Moment hat sie bereits kapituliert. Von den »letzten Paradiesen« spricht man längst, und tut es, mit dem Blick des Posthumen, vom Ende aus blickend.
Der Regen knistert in den Blättern, er sirrt und haucht. Manchmal schickt die Sonne einen kleinen Schein durch die Strippen, dann wird der Tropenschauer gläsern, dann unsichtbar. Doch tupfen seine Akzente immer noch die Gräser, und windstill, wie es ist, geben sie nur noch diesem Tupfen nach. In das Wiedererwachen des Lebens draußen klingt das Jaulen der Hunde, das Geschrei einer Säge, das Rumoren des anspringenden Treckers, des holzhackenden Mannes vom Nachbargrundstück, das Knacken der Dielen. Lauter Geräusche, die immer hier sind.
Tiefer hinein führt der manchmal schwer passierbare, von Felsbrocken und Wasserläufen unterbrochene Weg in eine Flusslandschaft wie aus dem Malaiischen Archipel, mit Schwärmen von Papageien, Trompetenbäumen, den roten Kelchen des Hibiskus, schreiend grünen Moosen – die Landschaft von Tortel. Der Regen pladdert Millionen winzige Krater auf die stehende Brühe des Flusses. Direkt in den Berghang sind sie gezimmert, die Stege und Treppen.
Grobschlächtige Melancholiker mit Alkoholikergesichtern warten, die Motorsägen geschultert, im Unterstand. Scheue Frauen mit Damen-Motorsägen schleichen auf den Stegen vorbei. Die Hosen auf Halbmast, sägen sie gefühlvoll das Kaminholz kurz und klein. Der Ort schmachtet in jene Vergangenheit hinein, als man nicht von oben, vom Felsplateau abstieg, sondern unten mit Schiffen und Booten den Flusslauf aufwärts fuhr, bis es nicht weiterging, weil die Schluchten eng und unpassierbar waren.
Hier, am Ende einer solchen Schlucht, wo die Holzhäuser in Zeilen übereinander die Hänge emporklettern, hier
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