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Die Enden der Welt

Die Enden der Welt

Titel: Die Enden der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
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sammelten sich die Gestrandeten, und es herrschte die Axt. Die Welt war fern, und Reisende fanden den Weg nur selten bis in diesen Winkel. Jetzt gibt es eine Straße, die von oben an den Rand der Siedlung führt, und prompt macht sich das Dorf weltfertig. Zu teuer, zu laut, zu dreckig wird es werden, und die Ahnung, dass man hier an ein Ende der Welt gelangt sein könnte, wird sich wohl nur kurz kapitalisieren lassen.
    Doch während es geschieht, wird auch dieser kleine tropische Flecken kurz den Traum von Las Vegas geträumt haben. Ist denn der Fluss nicht herrlich grün-grau und fast ohne Bewegung? Strahlen die Farben aus dem Hang nicht mit der Intensität bengalischer Feuer, das Fuchsien-, das Ziegel-, das Hibiskus-, das Holz-Rot der frisch gesägten und regennassen Stämme, das Blau der Rauchwolken? Man tut keinen Schritt ohne die Begleitung der nassen, schmutzigen Hunde, die bedürftig und rammdösig dem Menschenschritt folgen. Der Regen wird in den nächsten Tagen zunehmen, Felsbrocken werden auf die Schotterstraßen geschwemmt und sie endgültig unpassierbar machen, und das Gürteltier duckt sich dann auch tief in den Straßengraben, wo es den Eingang des Baus im geschlämmten Graben nicht mehr finden kann.
    Der Schleier des Regens, der durch die Windstille kommt, ist jetzt die einzige Bewegung. Er raut die Atmosphäre auf wie geätzte Schraffuren im Glas. Alles hält inne und duldet. Die Schilfkolben stehen hoch und abwartend, die toten Bäume erheben sich aus dem Ascheboden, der sich tiefer schwarz färbt, so wie die glatten Stämme funkelnder scheinen. So mancher Blick wendet sich, um ein Stück Himmel zu erforschen. Wenn es lange regnet, werden die Schafe sterben müssen. Ihre Wolle lastet dann nass und zu schwer, und nirgends finden sich Schutz und Wärme. Erfrieren werden sie oder am Erkältungsinfekt dahinsiechen.
    Die dünnsten Wolken dampfen zwischen den Felswänden. Und höher noch fassen die Schneefelder wie die Steine eines Puzzles in die Wolken, die den Gipfel besetzen.
    Am Ende der dritten Nacht gibt der Regen endlich auf. Den ganzen Tag über zieht die Sonne Feuchtigkeit aus der Straße. Ein Hauch liegt über dem Asphalt, ein Dunst deckt selbst den Schotter. »Wir verkaufen die Stille des Südens«, steht auf einem handgemalten Transparent.
    Wir lesen es an der Straße in der Stimmung, die dem Regen folgt. Wir lesen es wieder am selben Abend, als wir die Steppe erreicht haben, die trockene Steppe, die atmet, auch wo es länger nicht geregnet hat. Ihr Boden, ein leicht federnder Steppenteppich, gibt nach. Wir gehen auf der Oberfläche des ausgetrockneten Sees, sein Craquelé bebt wie Kork, mit den Abdrücken zahlloser Pfoten darauf, mit vereinzelten Sammelplätzen für Kot, für verschleppte Knochen.
    Manchmal ist das Meckern des Guanakos, manchmal das Zwitschern eines kleinen Singvogels in der Luft. Doch manchmal liegt das Guanako auch vom Puma gerissen in Fetzen da. Die Katze liebt die Jagd auf dieses lamaartige Tier, die Jagd vor allem, denn nach ein paar Bissen dürfen oftmals die Geier den Rest übernehmen. Während sie es auch jetzt tun, fällt aus einer finsteren Wolkenwand ein einziges Lichtbündel grell auf den toten See. Es ist Gotteslicht, das seinen Fächer aufschlägt, es streift auch die begrasten Wände des Felstheaters ringsum, dann kommt der kalte Abend, und der Wind flötet hohl.
    Über Nacht ist der Winter eingebrochen. Schnee hat selbst die niederen Felsen beflaumt, und auch auf den runden, bewaldeten Kuppen liegt der Raureif nun dünn. Aber noch ist die Kraft der Sonne unbändig, und wo sich der fett und grün quellende Gletscher zwischen die Felsmassive drängt, ist auch das Perlen des Schmelzwassers hörbar. Wo es von den Eisrändern abwärts tropft, um sich in einem schwarzen Steinbecken zu sammeln, kann man Kahn fahren. Auf dem See, den das Abschmelzen des Gletschers produziert, ist man diesem am nächsten. Flaschengrün-milchig ergießt sich das Rinnsal in den Fjord.
    Als wir nach langer Fahrt endlich seine Achselbeuge erreicht haben, finden wir uns in einer alten sudetendeutschen Siedlung wieder. »Hotel Ludwig« heißt das erste Haus am Platz, »Otto-Uebel-Straße« die zugehörige Avenida. Falken sitzen auf den Abfällen, Holzhütten liegen verstreut und wie von Quäkern errichtet, Tümmler springen. Das Wasser duftet nach Tang und Schilf, die Wiesen sind von aggressivem Grün, aus jedem Schornstein ein Fähnchen blauen Rauchs in einem kalten Himmel. Verstreut liegt

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