Die Enden der Welt
ringsum und Früchten in geflochtenen Körben am Boden. Jeder Bauer aus der Gegend stellt hier seine Produkte ein, vorausgesetzt, er bringt die Preisschilder selbst mit, und der Ladeninhaber hat nichts dagegen. Eben teilt ein Mann mit Cowboyhut am Boden einen Kürbis, ein anderer wickelt Eier aus einem Tuch. Marmelade, Gemüse, Zigaretten sind immer gleich weg, sagt der Inhaber, und der Kunde am Kürbis ergänzt, man kaufe deshalb, was eben da sei, Mixed Pickles im Plastikbecher, Kinder-Aspirin, Schnaps, eine angeschimmelte Zitrone.
Vom Laden aus fahren wir über kaum erkennbare Routen wieder zurück ins Buschland, durchqueren eine Schlucht, schaukeln Felshänge entlang, über angebrochene Brücken, bis in der Mondlandschaft einer steinigen Hügelkuppe ein Gatter erscheint: der erste menschengemachte Gegenstand seit Stunden. Dahinter läuft ein Fußweg zwischen spärlichen Gemüsebeeten auf eine Blechhütte zu, mit Blick auf einen Teich.
Man hätte die abgewandt stehende Frau inmitten ihres Gärtchens für eine Skulptur halten können. Doch ist diese vierzigjährige, bitter gewordene Frau die Witwe María, der der Magenkrebs vor zwei Jahren den Gatten nahm. Seither ist der Herbst in ihrem Gesicht.
»Verlass deine Einöde, komm in die Dörfer«, hatten ihre Kinder und Freunde ermunternd gesagt. »Wir kümmern uns.«
Doch die Zeit ist vorbei, in der die gegerbte Frau noch in einer Wohnung, in einer festen Ansiedlung unter Menschen leben konnte. Nein, hier muss sie bleiben, auf Gedeih und Verderb, mit ihren Tieren, ihrem Pferd, ihren Beeten, dem Teich.
Ihre verschatteten Augen irren mutlos umher, unstet und besorgt. Nichts ist wert, dass sie es in ihrem Blick festhielte. Nun lebt sie inmitten der erkalteten Kulisse ihrer verlorenen Liebesgeschichte, lebt ohne Gesellschaft und ohne Strom. Manchmal kommt ein Wildhüter vorbei oder ein Feldarbeiter und erzählt ihr vom Leben im Tal oder aus Coyhaique.
Manchmal nimmt sie ihr Pferd und reitet ohne Sattel vier Stunden zum Zigarettenholen, nur um zu erfahren, dass es heute keine Zigaretten gibt. Dies ist die ödeste Ödnis, umkämpft vom Wind auf einer Felsenbühne.
María trocknet Zwiebelschalen, um ihre selbstgestrickten Wollsachen mit ihrem Sud zu färben. Nur mit der Kerze irrt sie durch ihre Räume und lässt das Licht über den fertigen Textilien flackern, grobes Zeug in Grün, Lila und Orange, das sie aus einer Plastiktüte auf den Tisch schüttet. Es ist Suppenduft im Raum. An der Wäscheleine vor der Tür hängt, befestigt mit zwei Klammern, das kleine Transistorradio mit in die Weite zeigender Antenne. So ist der Empfang am besten, und er muss gut sein für die Lokalnachrichten des Tages: »Miguel, komm heim, das Essen ist fertig.« »Pablo, bring Bier mit.« »Carlos, die Kuh ist entlaufen.« Wo jeder Empfang für Mobiltelefone fehlt, ist dies oft die sicherste Verbindung zwischen den Einheimischen.
Augenblicklich dringt aber aus dem Volksempfänger von der Wäscheleine mexikanische Ziehharmonika-Musik, in die hinein ein wehleidiger Mariachi-Sänger plärrt. Gleich wird sich der Wind drehen und auch seine Stimme davontragen. Der Luftzug im Innern der Hütte lässt ein Mobile aus Muscheln klirren. Ich taste mich durch die Finsternis noch einmal ins Freie, um die Grundmauern zu umrunden. Es wirkt wie das Zuhause von jemandem, der in der Einöde einen Stock in den Boden gesteckt und ein Anwesen drumherum errichtet hat.
So ist zwischen den Zäunen ein Areal mit einer Küche, winzigen Zimmern, türkisfarbenen Wänden entstanden, eine Wohneinheit, die sich fast ungeschützt auf der Kuppe über dem Teich behauptet. Der Wind greift sich immer etwas, das an der Außenwand hängt oder zwischen den Schindeln klemmt, und lässt es klappern, sirren, klopfen, hämmern, donnern. Unmöglich, die Kakophonie zu deuten, die Geräusche im Einzelnen zu lesen. Man sitzt also um den Ofen und hört dem Wind zu und seinen Perkussionen.
Die Menschen leben in diesem Landstrich so isoliert, dass die Kommunen Gemeinschaftshäuser aufstellen ließen, damit sich die Leute dort treffen, sich austauschen, ein Leben im Verbund organisieren könnten. Aber diese Menschen kommen nicht. Seit unter Pinochet aus Nachbarn Verräter, Denunzianten, Folterer wurden, sind sie misstrauisch, suchen keine Gemeinsamkeiten, sondern bleiben lieber für sich.
Die Witwe hat Zahnschmerzen, sie stopft Nelken in die Backe und rechnet dieses Leiden zu all ihren übrigen hinzu. Sie findet, dass wer seinen Mann
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