Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Enden der Welt

Die Enden der Welt

Titel: Die Enden der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
Vom Netzwerk:
Tempobezeichnungen der Außenwelt, dem Wechsel ihrer Proportionen, dem Schwinden und Entstehen ihrer Farbigkeit zu begegnen.
    In Bahrain zwischengelandet, lief ich einmal die Halle hinauf und wieder hinunter, durch den prunkvollen Mascarpone-Marmor, vorbei an Pilastern und Säulen, klein unter den aufgereckten, blinden Karyatiden des Flugverkehrs, Kolossen, die die Gewölbe stützen, entlang der toten Schalter, vorbei am Spalier der Schlafenden, die auf polierten Bänken zusammengesackt ihre Köpfe in schwarze Tücher tauchen, über sich die Bilder von Palmen und Präsidenten. Vor der Flughafenmoschee häuften sich fünfzig Paar Plastiksandalen, doch kein Laut drang nach außen. Als die Maschine wieder über der Wüste war, ließ ihre Strahlkraft auch die Bilder des Marmors, der Säulen, der Karyatiden ausbleichen.
    »Haben Sie die Moschee gesehen?«, fragte ich den Deutschschweizer an meiner Seite.
    Der stierte vor sich hin:
    »Yesyesyes.«
    Er erinnerte sich, sah auf den Gang, dann auf den Mund seines anderen Nachbarn, durchs Fenster, auf das Titelblatt einer Zeitschrift vor sich, wieder durchs Fenster und auf mein rechtes Bein.
    »Yesyesyes. Interessant, interessant.«
    Eine Stunde später hatte er sich gutwillig angetrunken, offenbar zur Milderung seiner Nervosität. Außerdem gefiel es ihm, die Stewardess zu schikanieren, die aus Singapur kam und eine rote Uniform trug. Drei Tage würde sie bei ihrem Freund verbringen. Der Schweizer zwinkerte ihr zu, was sie ignorierte. Für den Sommer plante sie, mit ihrem »darling«, wie sie ihn jetzt demonstrativ nannte, mit dem Fahrrad durch die Bretagne zu fahren. Konnte man in der Bretagne Fahrräder leihen? Mein Nachbar bejahte. Sie ging.
    Darauf versuchte er, mit ihr eine Unterhaltung über Politik in Gang zu bringen, aber sein Englisch war zu dürftig. Von dem dünnen Lächeln aber, mit dem er noch eine Zeitlang kleine Ermunterungen hervorbrachte und die Stewardess zu kitzeln versuchte, fühlte ich mich eher abgestoßen, und als er schließlich anfangen wollte, mir die Liebe Christi zu erklären, wurde es mir auf meinem Fensterplatz eng. Desto angestrengter schaute ich hinaus.
    Zurück blieben die Industrien von Balikpapan, die Werften der großen Ölstadt an der Ostküste Borneos, die Rauchfahnen über den Schloten, die im tropischen Dunst rasch rostenden Installationen der Raffinerien.
    Die Straßen enden in Flüssen, und die Flüsse wieder in Flüssen. Sie bestimmen das unregelmäßige Muster aus den Reststücken eines sechzig Millionen Jahre alten Urwalds und den freigerodeten Flächen, auf denen die neuen Siedler ihre bunt gestrichenen Baracken abgestellt haben. Abseits erkennt man noch die alten Haufendörfer, vereinzelt sogar ein paar Langhäuser, und über allem lasten die Wolken schwelender und offener Brände.
    Früher drangen holländische Kolonialbeamte, philippinische Seeräuber und Missionare, chinesische und malaiische Kaufleute von den Flussmündungen aus in dieses Dickicht, den zweitgrößten Dschungel der Welt. Heute kommen selten Weiße nach Zentralkalimantan oder Borneo, aber im Hafen der südlichen Metropole Banjarmasin und auf dem Flughafen von Palangkaraya, der Hauptstadt, landen Javanesen, Balinesen, Maduraner in Klein- und Großfamilien, Tausende jeden Monat.
    Schon seit Jahrhunderten ballt sich die Bevölkerung Indonesiens auf Java, der Insel mit dem fruchtbarsten Boden und folgerichtig mit der dichtesten Besiedlung der Welt. Zwei Drittel aller Indonesier leben hier, auf der vorgelagerten Insel Madura und dem benachbarten Bali. Die Bevölkerungsdichte ist auf der größten dieser drei Inseln immer noch mehr als doppelt so hoch wie in Deutschland.
    Schon zu Anfang des 20 . Jahrhunderts begannen die holländischen Kolonialherren mit der Umsiedlung der Javanesen auf die wildere Insel Sumatra. Etwa zweihunderttausend Menschen hatten bis zum Zweiten Weltkrieg Java verlassen. Bis zum Ende des Jahrhunderts sollten es dann, der indonesischen Regierung zufolge, etwa sieben Millionen Menschen sein, die im Zuge des größten Umsiedlungsprojekts der Welt, der sogenannten »Transmigration«, Java verlassen würden. Vor allem auf Kalimantan und im Dschungel Borneos sei ihnen eine neue Existenz sicher, so hieß es.
    Die Ankömmlinge auf den dortigen Flughäfen tragen noch die Trachten ihrer Kultur: mit gestickten Borten besetzte Tücher die wohlhabenden Javanesen, Verwaltungsbeamte, Mediziner oder Juristen, Sarongs die Balinesen, auch Shorts, auch

Weitere Kostenlose Bücher