Die Enden der Welt
ihrer Hand.
»Du bist ja wieder unausstehlich«, sagt sie.
Im Hintergrund das hohe Tremolo der Singstimmen Bollywoods, das raue Geschrei einer rechthaberischen Alten, ein Telefon, das Klappern von Kochgeschirr, Hupen. Nun geht der Lappen zwischen Mutter und Tochter hin und her. Sie wischen sich abwechselnd den Schweiß in das schmutzige Rot des Fetzens, dann den Speichel vom Mund, und Mumtaz lächelt dünn, überlegen, wie im Nachsinnen über einem haarfeinen Gedanken.
Dann gähnt sie, ohne zu gähnen, es sieht eher aus wie ein Versuch, den Kiefer zu entlasten. Wenn die Mutter glaubt, einen Witz machen zu müssen, lacht Mumtaz nicht, sie schabt sich stattdessen mit dem Lumpen den Dreck aus der Hals-, dann aus der Armbeuge, sie schabt und schabt, bis ihr die Mutter auf den Handrücken schlägt. Darauf setzt Mumtaz den Lumpen als Ventilator ein, schlägt sich aber dabei ungeschickt mehrfach ins Gesicht.
Mumtaz, die in sich Thronende. Ihr Gesicht war wohl nie das einer Frau, männlich ist es geworden und schwammig, hat Schmutz und Schweiß aufgenommen und wieder abgesondert. Mimisch bewegt es sich auf engem Raum, und auch der eigene Name kommt Mumtaz nur widerwillig über die Lippen. Froh ist sie nicht, sie selbst zu sein, schon eher zufrieden ist sie, wenigstens aussprechen zu können, was sie nicht sein mag. Auch ihre Zunge ist nicht gern in ihrem Mund und wälzt sich missmutig von einem Mundwinkel in den anderen, schaut mit der Spitze raus und wird mit dem Lappen weggewischt.
Da also thront sie, am Ende eines langen Flurs namens Höllenfahrt, hinter sich die Wand, vor sich die Freier, die Kuppler, die Kranken, die Tiere, um sich herum ein Höhlenleben mit dem Soundtrack des 21 . Jahrhunderts. In sich eingeschlossen mit ihren Impulsen, Affekten, Reflexen, krank, aber, eben noch nutzbar, Prinzessin der letzten Klasse der Menschen.
Und alles, was sie kann auf ihrem Matratzenthron, das ist, jenes Orakel zu sein, das die Männer manchmal erhört und sich ihnen quiekend ergibt oder sie wegstößt und ablehnt. Ob die Männer ihres bizarren Begehrens oder der Neugierde wegen kommen, ob sie sich einen Spaß machen oder sich selbst ein Orakel stellen wollen, wer kann das wissen?
Doch dieser hier, der vornehme junge Mann in der beigefarbenen Hemdhose, er kommt offenbar in guten Absichten, und als er die schmale Hand nach ihrer Wange ausstreckt, da legt sich diese fettige Wange auch gleich zutraulich hinein.
Die Mutter erhebt sich ächzend und macht mir ein Zeichen, es auch zu tun. Der Vorhang wird vorgezogen. Keinen Grund gibt es, der Zufriedenheit im Gesicht von Mumtaz zu misstrauen, keinen Grund, abgesehen von jenem Augenblick, da ich auf meinem Rückweg schon wieder fast am Anfang des Flurs angekommen bin und ein Dröhnen höre, das aus einer Menschenbrust dringt, dann ein Brüllen wie aus den tiefen Registern einer Orgel, aus einer Basslage aufwärts steigend, verwandt keinem Geräusch, das ich je hörte. Hoch oben zwitschert die Stimme nun hysterisch, sie flattert durch den dunklen Flur, und niemand könnte sagen, ob die Lust, der Schmerz oder der Tod so brüllt. Doch dann zerstäubt sie in einem Kindergeschrei, einem verzweifelten Lamentieren, hervorgebracht unter Strampeln. Das Orakel hat gesprochen: Vergeblich die Sanftmut des Mannes, sein Zureden, sein Werben, vergeblich seine Bemühung, mit Mumtaz liebevoll zu sein.
Als ich wieder auf der Straße angekommen und erst wenige Schritte gegangen bin, ergreift jemand von hinten energisch meine Rechte. Doch als ich sie impulsiv zurückziehen will, ruft der wartende Straßenjunge vom gegenüberliegenden Mäuerchen aus:
»Lass!«
Es ist einer der beiden Eunuchen, der meine Hand an seine Lippen zieht und gleich darauf verschwindet.
»Alle Achtung«, sagt der Junge, »einen besseren Glücksbringer gibt es nicht als den Kuss des Eunuchen.«
Ich schaue unwillkürlich auf meine Hand.
»Und?«, will der Junge wissen, »wie war’s?«
In meinem Kopf hallt der Schrei der Mumtaz immer noch nach. Aber der Junge schaut perfide.
»Nicht schlecht, Herr Specht?«
Tangkiling
Die Straße ins Nichts
So hoch, so stetig über der Wüste durch die Wolken schwimmend, verliert man das elementare Gefühl für die Bewegung. Auf der Erde sind alle Beschleunigungen mit einer Blickgeschwindigkeit verbunden. Dieses Tauchen durch die Luft jedoch, das Gleiten über entfernte Muster und Schraffuren, Wölbungen und Dehnungen, Flächen und Senken versagt dem Auge die Fähigkeit, den
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