Die Enden der Welt
nicht. Ein starker, unbehaarter Arm liegt auf dem Gang. Er gehört dem barfüßigen, schlafenden Freier, der ruht, als sei er auf dem Weg zur Begehrten vom Schlaf niedergestreckt worden, und weil er nicht wert ist, dass sie sich für ihn erhebe, ist die müde Hure selbst eingeschlafen, auf einer dieser durchgelegenen Matratzen mit den braunen Schweißrändern vergangener Orgien, die ihr Wasserzeichen im Laken hinterlassen haben.
Immer rauschen die Ventilatoren. Überall bewegen und bauschen sich Stoffe in der Luft, immer atmet oder schnarcht es. Im Schaumkranz ihrer Hinterlassenschaften veratmen sich die Höhlenmenschen. Sandalen, Feudel, Plastikgeschirr und Spielzeug. In den Wänden öffnen sich neue, bisher ungesehene Stollen, aus denen immer weitere Leute herantaumeln. Räume, die man unbewohnt vermutete, werden plötzlich lebendig, weil erst die Kakerlaken, Hunde und Ratten herauslaufen, dann die Menschen. Die Freier schlagen einen Vorhang zur Seite, rabiat, wenn sie kommen, routiniert, wenn sie gehen. Alle haben diesen dünnen Oberlippenbart, Münder mit wulstigen Lippen, und alle wirken verkatert, verbiestert, ernüchtert, lustlos. Zwischen den Gittern hängt Food-Fotografie, nackt und glänzend wie Lebensmittel-Pornographie. Wäsche tropft von der Zimmerdecke, sie kann in solcher Schwüle nur schimmeln, nicht trocknen.
Und tiefer hinein ins Purgatorium! Die Lage ist ernst. Kein Gruß wird beantwortet, kein Lächeln erwidert, wir spaßen nicht, wir leben. Nur ein merkwürdig fehlgeleiteter Japaner kommt mir entgegen, sagt jedem »Guten Tag«.
Die Huren leben hier wie unterirdische Existenzen, wie Nacktmulle im Geruch von feuchter Erde, im Atem der vielen Schlafenden, in Kabinen wie Särge. In einer Pfütze opalisiert etwas verlaufenes Blut, von dem das räudige Hündchen mit der Zunge probiert. Die Frauen tragen auch schlafend am Boden noch ihr volles Hurenornat und die Freier steigen über sie hinweg zu den nächsten Frauen, Frauen, die sich unter Goldschmuck-Geklingel zum Blick dieses Freiers erheben, um gleich wieder zusammenzusacken.
Eine Siebzehnjährige mit einem bereits enttäuschten Gesicht lagert auf einer Bettstatt wie die »Große Odaliske« von Ingres. Sie sei nicht käuflich, verkündet sie ungefragt. Doch wurde sie vor einem Jahr, flüstert man mir zu, von ihrer Mutter einem reichen Kunden zugeführt, der ihre Unschuld hoch bezahlte. Wer es sich leisten kann, sollte einmal pro Jahr eine Frau entjungfern, findet der Volksglaube. Das stärke die Potenz.
Auf dem Boden wird über einem Gaskocher Reis erhitzt, Limonade in unguten Farben über dem Wasserhahn verdünnt. Die kleinen Mädchen hat man besonders aufgetakelt, mit Ketten behängt, mit Schminke schattiert. Die mittelalten Kinder blicken schon milieuschlau in die Welt, wenn nicht verdorben. Früh Alternde sind dies. Die Abhärtung in ihren Gesichtern folgt auf die Durchtriebenheit, die Bitterkeit, die Raffgier, und schließlich ist auch diese nicht mehr frisch in Augen, deren Blick tot im Blick des Gegenübers verweilt.
In der vorletzten Aussparung des Flurs sitzt die Mutter-Kupplerin auf einer schmutzigen Matratze. Sie thront, hat sie doch etwas anzubieten, das auf seine Weise einzig ist: die Tochter. Diese Mutter, schwarz gekleidet, schwarz geschminkt und mit reichlich Gold behangen, hat immer noch ein Mädchengesicht. Aber es ist etwas Verschlagenes dazu getreten, und nur wenn dies Gesicht seinen Charme braucht, das Lachen ein wenig zu lange stehen lässt und die langen Ohrringe kokett in der Kopfneigung klingeln, dann ist sie kurz eine unternehmungslustige Frau, die alles auf Anfang stellt. Ihre vierschrötige Achtzehnjährige mit dem ölig bläulichen Teint aber wartet ganz allein auf ihrer Matratze im letzten Zimmer, dem Kopfende des Flurs, wo alles endet. Sie sitzt allein, ein paar Haarspitzen in der Hand, einfältig vor sich blickend. Nein, die Tochter ist unter den Jüngsten in diesem Flur, nicht unter den Anziehendsten.
Aber die Lust? Wo betritt sie die Szenerie, wohin entkommt sie? Wo wirft sie sich der Verschwendung in die Arme, dem Überfluss? Ja, wo ist das Überflüssige, das Umwegige? Wo öffnet sie den Raum für ihre haltlosen Versprechen? Die Lebensklugheit der Huren ist eine Erfindung des kulturellen Oberbaus. Es gibt auch in diesen Katakomben keine nicht-professionelle, keine nicht-taktische Bewegung. Warum sollte die Frau noch irgendetwas anderes sein wollen als »der Entsafter«, wie die Männer spotten, eine
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