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Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Riedel
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Verna im vollen Bewußtsein ihrer Unbeholfenheit. Auch
gesellschaftlich war sie kein As, seit mit Brainonia alle Wendigkeit verlorengegangen
schien. Als sie linkisch ausstieg, tropfte Regen in ihren Kragen, der sich wie
ein Halsband anfühlte. Das Problem war unüberschaubar geworden, und nun ragte
der Dhaulagiri, Himalaya, vor ihrer Haustür auf. Mit klammen Fingern hielt sie
sich am Autodach fest, über das Sturzbäche aus Regen strömten.
    »Wir sehen uns dann ja«, rief Alakar
Macody in den Wind hinein und bewegte seine trockenen, gleichmütigen Finger.
Manche Menschen beherrschten eben die Kunst des gleitenden Übergangs.
    »Wann?« fragte sie.
    »Wann was?«
    »Wann sehen wir uns dann?«
    »Dann irgendwann!«
    »Ja, gut«, sagte sie, »dann bis
irgendwann. Dichten Sie schön!«
    »Mach ich«, sagte er. Er stieg noch
nicht mal aus.
    »Ich seh Sie ja dann im Fernsehen«,
erwiderte sie, »ich winke Ihnen.«
    »Tun Sie das.«
    »Ja«, sagte Verna. Sie schließen jetzt
diese Tür, sagte Karla.
    »Also«, sagte Alakar.
    »Also...« Mit seinen schönen Fingern
angelte er nach dem Türgriff und legte sich dabei halb über den Vordersitz, auf
dem eben noch sie gesessen hatte. Wahrscheinlich war der Sitz sogar noch warm.
»Ja, dann noch mal«, sagte er.
    »Dann noch mal was?«
    »Nichts«, sagte er.
    »Adieu!«
    »Adieu!« Mit einem stumpfsinnigen
Geräusch schloß sich die Tür, Alakar ließ den Motor an und hupte, als er in
seinem fahrenden Kühlschrank verschwand. Verna drehte sich um, in die Richtung
des Berges, der der höchste Berg der Welt geworden war. 8848 Meter. Ich bin ein
Wikinger, dachte sie, Leif, Sohn Eriks des Roten, und ich entdecke Markland,
Helluland und Vinland. Es ist das Jahr Tausend, und ich weiß nicht, daß
Markland, Helluland und Vinland einmal Amerika heißen werden. Auch kann ich
nicht wissen, daß ein gewisser Kolumbus mir in 492 Jahren auf Guanahani die
Show stehlen wird. Nur ein paar Schritte, die Tür. Kein Berg, eigentlich nichts
als eine Treppe. Drei Stufen, und ich bin an der Tür. Eins, zwei. Es war so
dunkel.
    Drei, sagte Karla, und ab unters
Vordach!
    Eins, zwei, aber keinen Schritt weiter,
ich stehe gern im Regen, neben der Begonie mit den pelzigen Blättern. Begonien,
man mag sie gar nicht anfassen. Tropfen klatschten auf das Vordach, auf
ungefärbte nasse Haare. Gemeiner, nadelförmiger, kalter Regen, der Mosaike in
Kopfhäute nähte. Etwas bewegte sich an Vernas Fuß, die Schildpatt-Katze ihrer
Nachbarin, eine nasse Berührung an ihrer nassen Wade. Die Katze schnurrte, ein
Meeresungeheuer.
    »Kennst du mich?« fragte Verna. »Kennst
du mich denn noch?«
    Mit einem Niesen wischte das Tier durch
ihre Beine auf den trockenen Gitterrost, und Verna machte ein paar Schritte
rückwärts. Sie legte den Kopf in den Nacken und konnte in den schwarzen Himmel
sehen, aus dem jemand all das weiße Wasser vor ihre Füße schleuderte.
    »Miez, miez, miez«, rief ihre Nachbarin
heiser aus dem geöffneten Parterrefenster. Die Vordertür öffnete sich für die
nasse Katze, und die Eingangsbeleuchtung wurde eingeschaltet.
    »Mir ist hundskalt!« sagte Verna.
    »So ein Regen«, sagte die Frau mit vom
Schlaf versperrten Augen. Sie vertrieb Software, reparierte Computer und verlor
dauernd Fetzchen von dünnen Drähten und winzige Schrauben im gemeinsamen Flur.
    »Sie sind ja auch ganz naß, Verna. Wenn
Sie keinen Schlüssel haben, warum schellen Sie dann nicht? Was stehen Sie denn
nachts da draußen herum?«
    Ich möchte mein Haupt betten, dachte
Verna. Ich. Möchte. Mein. Haupt. Betten. Ohne einen Laut lief sie die Treppe
hoch, während die Katze in der Diele unter dem Klavier verschwand, wo ein
Computerbildschirm neben einem roten Regenschirm lehnte. Ich sollte mir eine
Katze zulegen, eine Katze und einen frustrierten Zug um den Mund, oder ich lerne
Chordophone spielen, Saitenklinger, am besten Hackbrett oder auch Klavier.
Strawinsky spiele ich, damit ich einen Sinn für Dramatik entwickle, und
zwischendurch kraule ich meine Katze. Falls jemand vorbeikommt, trage ich eine
Eigenkomposition vor, und wenn er später im Bett liegt, lasse ich die Katze
neben ihm schlafen. Manasse soll vorbeikommen, ich lege die Katze auf ihn, weil
sie an Betten gewöhnt ist, und wenn er protestiert, erzähle ich ihm, daß es
schon vielen Männern unheimlich war, wenn die Katze ihnen morgens beim Pinkeln
zusah. Das macht sie nämlich immer. Die Katze, dachte sie, heißt Klara, aber
Manasse darf weiter Manasse heißen, und

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