Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Riedel
Vom Netzwerk:
falls er nicht kommt, sollte wenigstens
Vera Albert kommen. Sie könnte die Puppe auch mitbringen, und wir spielen
zusammen der Sonnenkönig und sein Ankleidezimmer.
    Weit öffnete sie das Fenster, und wie
ein Raubtier sprang kalte Luft sie an, draußen tröpfelte es nun nicht mal mehr,
nur auf den dünnen Ebereschenblättern vor dem Vogelhäuschen lag Regenwasser wie
Glanzpapier. Die Wohnung füllte sich mit der würzigen Luft, und Verna legte
Grieg auf, Dereinst, Gedanke mein. Die javanische Uhr mit den
Tempeltänzerinnen, die sie bei einem Designversand bestellt hatte, schlug. So
viele makellose Dinge, eine atmende Wohnung, Wohnungen gingen ein, wenn niemand
sie bewohnte. Sie setzte jemanden auf ihr Knie, das Telefon, dann wählte sie
die Nummer, die sie auswendig kannte.
    »Alakar Macody, guten Tag«, sagte er,
»lassen Sie uns über die Dummheit der Menschen reden.« Das wollte sie hören, es
genügte, und Verna drückte den Daumen auf die Gabel. Sie wartete auf das
Freizeichen und wählte erneut, bis jemand abnahm.
    »Herr, es ist Zeit « sagte sie statt einer Anrede.
    »Was hast du gesagt?« fragte Manasse,
der auch nicht geschlafen hatte.
    »Richtig hätte es geheißen: Der
Sommer war sehr groß. Schon gut, wahrscheinlich ist das zuviel erwartet.
Was ich sagen wollte: Antreten!«
    »Ich brauche nur eine Viertelstunde«,
sagte Manasse.
     
    Regen riß Schluchten in die Straße,
gewalttätiger Niederschlag, eine Wand, die sich öffnete und ihn verschluckte.
Mit jedem Meter ein neuer Schluck, aber vielleicht war auch er der Regen, der
den Wagen schluckte. Nachdem sich die Ereignisse überschlagen hatten, fuhr
Alakar Macody auf direktem Weg zu Doris Knöchels Wohnung. Das kann nicht sein,
dachte er, und das wird auch nicht sein, beruhigte er sich. Es wäre ein Zufall.
Solche Zufälle gibt es nicht im Leben. Wenn man andererseits an das universelle
Prinzip der Serialität glaubte, an Wiederholung und Häufung in Zeit und Raum
ohne gleichzeitige Ursache... Selbst Einstein hatte das originell und
keineswegs absurd gefunden. Aber ich glaube nicht daran, daran nicht.
    Wo wir gerade darüber redeten, Verna,
als Sie Knöchel sagten, da fiel mir etwas ein.
    Vor der Jugendstiltür ließ er den Wagen
stehen, lief am Portier vorbei, der sich im Foyerspiegel verdreifachte, und
atmete erst im Lift bewußt aus. Vom Empfangsbediensteten gewarnt, stand Doris
bereits in der Tür des Loft, sie trug einen Babydoll und darunter den spitzen
Busen wie ein Gewehr auf ihn gerichtet.
    »Antonio!« hauchte sie wie schon am
Telefon, eine lebende Maske zwischen den afrikanischen Masken, die den Eingang
flankierten. Immer noch fuhr ihr Großvater auf Safari nach Kenia und zog durch
die Dörfer, um persönlich aus Hütten und Verschlagen Totempfähle und andere
Kultgegenstände zu entwenden. Ein phantastischer Geschäftsmann und ein
schnurriges, aber strenges Familienoberhaupt dazu. Sehr nobel, sehr freigebig.
Ihm gehörte auch das Penthouse, durch das sie Alakar ohne weiteren Umstand
schleuste, in ihrem trägen Gang, ihrem Geisha-Gang, zielstrebig, als hätte sie
mit seinem Kommen gerechnet.
    Mit einer sachten Handbewegung
plazierte sie ihn auf dem Sofa an ihrem Prunkstück, einem Stahlträger, der noch
genauso nackt war wie vor ihrem Einzug. Im leeren Loft mußte Alakar damals mit
ihr das Kuckuck-Spiel spielen. Dazu nahm Doris irgendwo in der Halle
Aufstellung, und während er sich die Augen zuhielt, rief sie kuckuck, bis er
ihren Standort anhand des Echos ausgemacht hatte. Dann durfte er sie küssen. Er
war nicht der einzige, dem diese Ehre zuteil wurde, denn sie benötigte mehr
Zuspruch, als er ihr geben konnte. Aber er gönnte ihr alle Männer dieser Erde,
solange Doris ihn nach der Liebe auf ihren schwarzen rutschigen Kissen nur ziehen
ließ.
    »Setz dich doch, Antonio«, sagte sie,
als er längst saß, »soll ich uns etwas auflegen?«
    Eilfertig durchstöberte sie ihre
Herbie-Hancock-Sammlung, die sie ihm zuliebe angeschafft hatte, während er
aufstand und durch die Panoramascheiben sah. Dort unten lag, halbrund wie ein
großer Mond, die Stadt, und er senkte seine Wurzeln in die Erde. Hier stand er,
im Mittelpunkt der Welt, auf dem heiligen Berg Garizim. Wenn man den
Zeiss-Feldstecher benutzte, der auf der Balustrade parat lag, verwandelte sich
die seichte Krümmung der Schatten in einen lichterfüllten Dächerozean. Formen
erhoben sich, schiefe Winkel, Dreiecke, Quadrate, ausgemalt von den Atemzügen
der Schläfer zu seinen

Weitere Kostenlose Bücher