Die Endlichkeit des Lichts
Antonio an seiner Stelle, »um dich zu fragen, wie du heißt!«
»Wie bitte?« sagte Doris Knöchel im
Aufstehen. »Doris. Das weißt du doch. Sag bloß nicht, das hast du auch
vergessen!«
»Ja, aber mit Nachnamen. Das heißt, ich
weiß ja, daß du Knöchel heißt. Aber dein Vater, heißt der auch Knöchel?«
»Natürlich«, sagte Doris pikiert, »wie
denn sonst?«
»Und wie alt bist du?«
»Antonio«, sagte Doris, »was sind denn
das für ungewöhnliche Fragen? Du wirst doch nicht glauben, daß ich dir mein
genaues Alter verrate. Du kannst vieles verlangen, aber das nicht.«
»Dann anders«, erwiderte er grimmig,
»als du ein Kind warst, hattet ihr da Buchsbaumhecken vor eurem Haus? Oder
Liguster?«
»Und wenn?« sagte sie listig. »Würde
das etwas ändern? Wertet mich das in den Augen eines Botanikers auf? Ich habe
keine Ahnung, was vor unserem Haus stand. Das war doch der Grund, weshalb du
mich nicht wolltest. Das ist doch der gordische Knoten!«
»Tiere«, sagte er, »kannst du dich an
Tierfiguren erinnern, die in die Hecken geschnitten waren?«
»Ach das«, sagte sie, »du meinst solche
Hühnchen und kleine Bären und Dalmatiner? Die hat mein Vater damals
zurechtstutzen lassen, als er den britischen Fimmel hatte, weil er so aufgeregt
über seine kleine Süße war. Das war ich«, erklärte sie, »dabei hatte ich ja
nicht mal die Augen auf.«
»Mäuse haben die Augen nicht sofort
auf«, verbesserte Alakar, »Kinder schon.«
»Ist doch egal«, sagte Doris,
»jedenfalls hat er das Gestrüpp ein paar Jahre so stehen lassen.«
»Wie heißt dein Vater?« fragte Alakar
matt.
»Knöchel! Das sagte ich doch schon.«
»Ja, aber mit Vornamen.«
»Ignaz, Kurzform von Ignatius,
lateinisch: das Feuer«, leierte Doris Knöchel, »das hat er uns immer
vorgebetet, weil er so stolz darauf war. Der feurige Ignaz, nach Ignaz Philipp
Semmelweis, Arzt und Erfinder des Kindbettfiebers. Aber wir haben ihn nie so
genannt, meine Mutter und ich. Wenn wir ihn aufregen wollten, haben wir die
Abkürzung abgekürzt. Ein Judenname, darüber hat er sich am meisten geärgert.
Liegt in der Familie, Nazigelder. Das hatte ich doch mal erzählt?«
»Wie habt ihr ihn denn genannt?« fragte
Alakar, obwohl er es schon ahnte.
»Izzy!« sagte Doris Knöchel fröhlich.
»Wenn er nicht spurte, hieß er Izzy. Da war unser guter alter Izzy aber
pampig!«
Und deshalb, dachte Alakar, betete
Isaak zum Herrn, und der Herr erhörte seine Bitte. Rebekka empfing Zwillinge.
Aber als die Kinder einander im Mutterleib stießen, sagte sie: Warum muß es mir
so elend gehen?
Er gab ihr die Antwort: Zwei Nationen
trägst du jetzt in deinem Leib, die eine wird die andere unterwerfen, der
Erstgeborene wird dem Zweiten dienen. Weit weg von guten Feldern wird er
wohnen. Es konnte nicht sein. Es war ein Zufall. Es paßte zu gut zusammen. Aber
was maßte er sich an, das zu beurteilen.
Jedoch den Punkt zu erkennen, merkte Eliot an, wo sich Zeitloses
schneidet mit Zeit, ist eine Beschäftigung für Heilige.
Die Synchronizität, fügte C. G. Jung hinzu, ist nicht
rätselhafter oder geheimnisvoller als die Diskontinuitäten in der Physik.
Wenn ich einen Vater gehabt hätte,
hörte er Verna Albrecht sagen, so einen Vater, einen Helden.., Aber ich hatte
nur Izzy Stern als Ersatz. Verwundert betrachtete Alakar Doris Knöchels
klassische Nase, die ein Zwilling von Verna Albrechts Nase war. Er beugte sich
vor und strich mit dem Zeigefinger leicht darüber. Doris aber griff nach seinem
Zeigefinger und steckte ihn in den Mund. Obwohl er sie davon abhalten wollte,
konnte er nicht. Zu groß war die Neugier darauf, ob Doris Knöchels Lippen ihn
an etwas erinnern würden. Seltsame Namensähnlichkeit, sagte Verna. Es war alles
ein Zufall, es mußte ein sehr unglücklicher Zufall sein. Die beiden
Izzy-Töchter, die nichts voneinander wußten, winkten ihm zu. Als er die eine
küßte, schmeckte er auf Doris Knöchels Lippen den vermuteten, für immer
verlorenen Geschmack von Verna Albrechts Mund.
Ach,
all die Farben, sagst du, ach, all der Schnee
E inst lebte ein Mann, schrieb Verna, der
verkaufte den Menschen Träume. Mit ihrer Dichterinnenkarriere hatte sie
abgeschlossen, seit Alakar Macody im Fernsehen Poesie vertrieb. Sie weinte
nicht viel, obwohl sie wußte, daß sie ins Nichts schrieb und für das Nichts
schrieb. Morgens hatte sie dem Akupunkteur ihre finsteren Visionen mitgeteilt.
»Ich werde Lungenkrebs bekommen, oder? Ich rauche.«
»Sie werden
Weitere Kostenlose Bücher