Die Endlichkeit des Lichts
geradeaus, klatsch, in die Mitte des Nichts.
Das ist ein Vorteil. Alles, was war, wird wieder sein. Man darf darüber
nicht reden. Sagte ich das schon? Der Zauber, verstehen Sie.«
»Es ist leider alles über alles
geschrieben worden«, sagte Verna sachlich, »ich glaube, das ist der grundsätzlichere
Haken. So eine magere Geschichte, aber der ganze magere Izzy steckt drin.«
»In meinem neuen Verlag«, sagte Alakar
Macody, »mit meiner Million kann ich mir alles leisten. Herzlich willkommen’«
»Ich glaube, ich mache lieber Urlaub.
Ich will in die Schweiz. Da lebt eine Frau, die Anne Sexton aus dem Gefängnis
geholt hat. Aus Amerika. Alles hat sie herausgegeben. Für mich ist sie wie die
Schatzkammer im Kölner Dom oder der Papst, als ich ein Mädchen war. Ich will
sie unbedingt sehen, denn ich neige zu symbiotischen Verhältnissen. Schließlich
hat man mich nicht umsonst als Zwilling auf die Welt geworfen. In Zürich stelle
ich mich in ihren Hauseingang und denke: Heut ist der Tag, an dem sie unsern
Sommer nach Hause verschifften in zwei Kisten. Natürlich werde ich sie
nicht ansprechen, wenn sie herauskommt. Ich will nur wissen, wie sie aussieht.«
»Vielleicht ist sie ja unsympathisch«,
sagte Alakar Macody.
»Na hören Sie«, sagte Verna. »Und doch
ist heute unser Hund erfüllt vom Geist unseres toten Hundes. Wer das liebt,
kann nicht unsympathisch sein. Hätten Sie Izzys Hunde gekannt...«
»Ich finde nur Menschen sympathisch«,
sagte er, »die meine Gedichte mögen. Also niemanden. Es ist eine böse Falle.«
»Heute ist übrigens der vierte
Oktober«, sagte Verna.
»Ich weiß«, sagte Alakar, »ich verstehe
mich auf Todestage. Ich bin ein lebender Kalender. Fragen Sie mich
beispielsweise nach Karen Blixen.«
»Was soll mit Karen Blixen sein?«
»Karen Blixen, gestorben im September
1962 auf Rungstedlund.«
»Sagen Sie bloß, Sie haben die Sintflut
von Norderney gelesen?«
»Sicher, und dann bin ich bei AA, den
Anonymen Afrikanern. Mein Name ist Alakar, und ich gestehe, daß ich Jenseits
von Afrika gegenüber machtlos bin.«
»Ein schrecklicher Film. Ich habe für
Izzy mitgeweint, weil es ja einer tun mußte. Vielleicht liegt es an den zwei
Namen.«
»Was?« fragte Alakar. »Das Weinen?«
»Natürlich. Karen Blixen. Tania Blixen.
Verna. Alice.«
»Mein Großvater hat Genua auf
Zettel geschrieben. Er hat Pisa mit Zetteln übersät. Auf dem letzten stand Opinioni. Großvater ist vom Dach gesprungen, als ich siebzehn war.«
»Ein Name für draußen«, sagte Verna,
»und einer für hier drin. Das Pseudonym in die Kindheit eingebaut, da ist man
gezwungen zu schreiben. Eine Art Börsentip. Von oben.«
»Ich dachte, Sie sind nicht religiös.«
»Ich bin so religiös, daß die
Weihrauchfässer zu pendeln beginnen, wenn ich nur an einer Kirche vorbeigehe.«
»Das ist lustig«, sagte Alakar Macody,
»schreiben Sie’s auf. Schreiben Sie das bitte auf.«
»Das hätte ich sowieso getan«, sagte
Verna.
Es war ein unbehaglicher Moment, einer
der Momente, die stets um zwanzig vor beginnen. Menschen schweigen und sehen
sich an. Alakar schaute auf die Uhr, zwanzig vor eins, die Frau, die damals
neben ihm im Bett lag, hatte sich in ihrer Theorie nicht getäuscht. Es sei
denn, seine Uhr ging falsch. Seit er Brainonia nicht mehr sah, konnte er
sie nicht mehr stellen. Es gab einen Widerstand, der das verhinderte.
»Möglicherweise werde ich Vater«, sagte er.
»Von Doris Köchel oder von Vera?«
»Eventuell von beiden. Es ist nur ein
Gefühl, aber meist täuscht mich das Gefühl nicht. Jedenfalls kommt es mir so
vor, als hätte ich etwas von mir nicht mehr bei mir. Als hätte es sich
losgemacht und wäre in die Welt hinausgegangen. Anders kann ich es leider nicht
beschreiben. Vielleicht ist es aber gar kein Kind. Vielleicht ist es nur mein
Bein, das ich vermisse.«
»Ich wollte nie Kinder«, sagte Verna,
»und das eine Mal, daß ich eins wollte, habe ich eine Therapie dagegen gemacht.
Inzwischen lehne ich Therapien ab. Werden Sie bloß nicht so ein Vater, der
Strohhalme in Lokalen zurückgehen läßt, nur weil sie sich nicht biegen lassen.
Man kann die Sauerei ruhig selbst wegwischen, wenn die Kröten mit dem starren
Strohhalm alles umschmeißen. Was ist das«, fragte sie, als die Gelbbauchunke
draußen rief.
»Bombina variegata. Herzförmige
Pupillen.«
»Herzförmige Pupillen... Dann sagen Sie
mir jetzt das Gedicht. Erfinden Sie eins, vielleicht darüber, wie es war, als
Sie dachten, Sie werden
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