Die Endlichkeit des Lichts
nicht
abbringen lassen. An ihn habe ich geglaubt. Es mußte aber ein Amerikaner sein.
Vielleicht war es wie bei Ihrem Izzy. Wäre er in eine stinknormale Synagoge
gegangen? Nein, er scheint mir das Zen-Zeug benötigt zu haben. Buddha und
exotische Gebetsfahnen. Möglicherweise war ihm ja der gute alte Abraham zu
überwältigend. Ein psychologisches Phänomen, würde meine Mutter sagen. Wenn ich
die Nabelschnur nicht durchtrennt hätte, wäre ihre verdammte Göttlichkeit für
mich auch nicht zu ertragen gewesen. Dafür habe ich Doris Knöchel gebraucht,
und seit mir Doris Knöchel ganz sympathisch ist, fange ich an zu begreifen,
warum meine Mutter Gucci-Jacken tragen mußte.«
»Wer?« sagte Verna aus all dem Eis
heraus, das ihre Beine brach und den letzten Atem zerdrückte. Am Nordpol, so
hörte man, schmolzen inzwischen die Gletscher. Unter dünnen, gläsernen
Schichten waren bereits zarte Planktonfäden zu sehen, und beleidigt brüllten
Touristen nach Kostenerstattung. Das Eis war dem Nordpol verlorengegangen und
hatte sich auf ihrem Schoß versammelt.
»Wen haben Sie gebraucht?«
»Doris Knöchel, meine letzte...« Alakar
Macodys Hände, die Buchstaben auf sein falsches Bein gemalt hatten, blieben in
der Luft hängen.
»Ihre letzte... Freundin? Wie heißt
sie? Was war das für ein Name?«
»Doris Köchel!« sagte Alakar Macody
heftig. »Doris Köchel, dabei kochte sie nie. Wie meine Mutter, schon ein
Zufall, was?«
»Entschuldigung«, sagte Verna langsam,
»ich hatte Sie wohl falsch verstanden. Köchel... seltsame Namensähnlichkeit,
oder?«
»Welcher Name?« sagte Alakar Macody,
»ich weiß nicht, welchen Namen Sie meinen.«
»Knöchel«, sagte Verna, »mein Vater
heißt Knöchel.«
»Ach, jetzt erinnere ich mich«, sagte
er, »nun, wenn er Knöchel heißt... Jedenfalls heißt Doris nur Köchel, ohne ›n‹.
In letzter Zeit, das Fernsehen, es bringt mich ganz durcheinander.« Mit der
Handfläche befühlte er seine Stirn, als ob er Fieber hätte. Eine ehrbare Stirn,
dachte Verna, ein anderes Adjektiv fiel ihr nicht ein, und er bestand doch aus
Adjektiven, ein Mann, der eine Ansammlung von Eigenschaftsworten war.
»Verna«, sagte er, »was ich zu Ihrer
Geschichte noch sagen wollte...«
»Nein«, sagte sie, »zu spät. Sie hatten
Ihre Chance. Sage einmal, was du zu sagen hast, und dann laß es arbeiten. Für
Buddhismus gar nicht so übel. Sie haben nichts gesagt, ich schreibe trotzdem
weiter. Das war der Knoten.«
Sie lehnte sich zurück.
»Haben Sie übrigens E. Annie Proulx
gelesen? Diese Person hat mir mein Buch geklaut. Clifford B. Ashley, Das
Buch der Knoten, über 600 Seiten. Das teuerste Buch, das ich mir je
geleistet habe, und nur wegen Eugene E. du Pont. Das war die Frau, die für
Ashley einen Taljereepsknoten geknüpft hat, 24kardeelig, 21partig, und zwar
nach seiner handschriftlichen Anleitung. Allerdings, schreibt er im Vorwort,
hat sie’s nur unter Protest getan. Ich habe mich gefragt, was das wohl für eine
Frau war. Knoten knüpfen, Knoten lösen, wer sollte das wieder aufdröseln?
Zwanzig Zitate hatte ich herausgeschrieben, da kam Proulx. Knoten, schreibt
Ashley, haben auffällig wenig Nationalgefühl. Ehrgefühl aber wohl noch weniger.
In ihrem Buch fand ich meine Knotenzitate. Meine Idee stand drin. Aber ich wäre
besser gewesen. An Proulx schlägt man sich die Knie auf. Was ich sagen wollte:
Man muß die Geschichte beginnen. Dann setzt sich die Geschichte schon fort.«
»Der Knotenkandidat damals«, sagte
Alakar Macody, »mochten Sie den?«
»Natürlich«, sagte Verna, »das war
schließlich mein Auftrag. Fernsehen ist Buddhismus: Liebe sie, dann geh und laß
sie stehen. Dick und haarig, wie mein erster Freund. Ich war nämlich auch mal
Rahel, aber Alfonso von Spanien wollte immer nur Sex. Am peinlichsten war, als
ich Yeats zitiert habe: Manch einer, den ich liebte, hat auf meinen Knien
gesessen, und ich habe auf den Knien manch eines gesessen, den ich liebte.
Alles, was war, wird wieder sein. Ich war so benommen von dem Zitat, aber
er hat mich gefragt, ob ich mich nicht endlich auf sein Knie setzen wollte. Nur
meinte er eigentlich gar nicht sein Knie, sondern...«
»Sie sind doch überhaupt nicht obszön,
Verna«, sagte er. »Und dann Ihre Geschichte... Die Wahrheit steckt in solchen
Geschichten. Wenn Sie naiv wären, aber Sie sind nicht naiv. Sie wußten, was Sie
schreiben. Sie wissen, es ist gut. Manchmal entdecke ich, was mir fehlt. Selbst
die jungen Dichter... Sie sehen
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