Die Endlichkeit des Lichts
meldete er
sich.
»Hallo!«
Hallo, dachte sie, eine Verrohung wie
das Gedicht, das sie am Abend vorher gelesen hatte. Es nannte sich ›Audiotaktile
Thermovision«. Auch im natürlichen Rohzustand bist du eine recht bunte
Zahlenreihe, die weiß, das Glück ist ein High-Tech-Produkt.
»Hallo! Wer ist da?« fragte Alakar
Macody ungeduldig.
Wenn sie ein Zimmer wäre, mietbar, ich
würde zahlen, sagte
Anne Sexton, wenn sie ein Leben wäre, rettbar, ich würde retten.
»Hallo!« sagte Verna schnell, »hier ist
noch mal Verna, Verna von Brainonia !« Der groteske Adelstitel war ein
Auffangnetz, das selbst Alakar Macody mißbilligte.
»Hören Sie mal«, sagte er, nachdem eine
Weile wortlos verstrichen war, »ich habe absolut keine Lust mehr, mit Ihnen zu
reden, Verna. Das heißt, ich bin gerade sehr in Eile. Ich sehe Brainonia wirklich gern, also, regelmäßig, aber ich — verstehen Sie das richtig, ich
möchte mich erst fassen!«
Während sie Alakars Atem zuhörte,
surrte das Faxgerät, und sie fischte mit einer Hand nach dem Blatt, als ›Empfang
bestätigt« aufleuchtete. Dabei fiel die Coladose neben dem Telefon um.
»Was war das?« fragte Alakar irritiert.
»Nichts«, sagte Verna. Und du
montierst, hatte es in dem Gedicht geheißen, wenn dir ein bißchen nach
Schmerzlust ist, nach altem Wehsinn, gleich einen Orgasmus in cis-Moll dazu,
den du noch während des fleischlichen Abzuckens beliebig transponieren kannst. Sie hatten es abgedruckt. Welchem Glauben mochten Menschen anhängen, denen das
gefiel?
Das Fax, das von der Cola feucht und
braun gesprenkelt war, kam wieder von Manasse.
»Gibt es einen braun gesprenkelten
Pilz?« sagte sie ohne nachzudenken.
»Ist das eine Fangfrage?«
»Natürlich nicht.«
»Na ja«, sagte er, »den
Waldfreund-Rübling. Aber auch nicht richtig.« Verna überflog das Blatt. Super-Quote,
schrieb Manasse, die Leute lieben deinen Stinkpilz. Fast hundert Anrufe, sie
finden ihn komisch. Halt uns den gemeinen Samtfußrübling warm. Kavo will ihn
auf jeden Fall wieder im Programm!
»Aber das klappt doch«, hörte Verna
sich zu Alakar Macody sagen, »heute mit der Sendung?«
»Warum denn nicht?« Sie wollte etwas
antworten, aber es fielen ihr nur die Zeilen aus dem abscheulichen Gedicht ein,
die sie vor dem Einschlafen mit einem Textmarker rot durchgestrichen hatte. Erschaffst
dir leidenschaftliche Kreuzungen von deiner am Faschingsdienstag ausgeklickten
Hauskatze. Das Gedicht konnte ja nichts dafür, es sah ohnehin wie Prosa
aus. Vielleicht sollte sie einfach über ihren Computer schreiben. Schade, daß
sie keine Katze hatte.
Werna, ist die Leitung schlecht? Warum
sollte ich nicht kommen, habe ich Sie gefragt.«
Weil Sie, wollte sie antworten, ein
selbstverliebter Einsiedlerrollenspieler sind, schlimmer als Izzy und meine
Mutter zusammen. Aber statt dessen sagte sie nur: »Ach, ich befürchtete so was.«
Er hielt den Atem an, wie jeder schien
er den abgeklärten Ausdruck in ihrer Stimme mit Liebreiz zu verwechseln,
unklare Versprechungen lagen darin, die ihr selbst allenfalls Brechreiz
verursachten. Aber schließlich waren sie freiwillig verliebt in ihre Vorstellung.
Die Gutwilligen wie die Dummen.
»Versprochen ist versprochen«, sagte
Alakar. Und wird auch nicht gebrochen, dachte sie, gleich wird er seinen Arm
herausholen, er wird sich eine Rasierklinge besorgt haben, und er wird den Arm
mit der Rasierklinge traktieren. Gleich wird Blut fließen, und er wird es in
die Show tragen, und ich werde sein Blut trinken müssen, der Bruderschwur, das
große Indianerehrenwort. Das letzte Exemplar einer aussterbenden Gattung.
»Warum haben Sie eigentlich«, sagte
Alakar, »gestern die Bekenntnislyriker erwähnt? War das eine Falle?«
Dies ist der Standpunkt, den die Welt
bezog, sagte Anne
Sexton. Bei den Kindern des Feindes.
»Ach nein«, sagte Verna, »wieso denn?
Sagen Sie, haben Sie je von einem Gedicht namens Audiotaktile Thermovision‹
gehört?«
»Gehört ja«, sagte Alakar, »aber ich
habe es Gott sei Dank gleich wieder vergessen.«
»Wo Sie’s ansprechen«, sagte Verna, »es
kommt eine Zeile darin vor, da heißt es: Gott ist, wenn er ist, ein sich
selbst begnadigender Illusionist, formulierte schon zur Jahrhundertwende die
nicht computergestützte Fanta-Sie des aus Tirol gejodelten Dichters Toni
Gletscher. Fanta-Sie mit Bindestrich. Ich dachte, wenn Sie sich mit
Gedichten auskennen, könnten Sie mir das erklären.«
»Ach, ich befürchtete so was!«
antwortete Alakar
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