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Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Riedel
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ihn nicht.
Schon lange war ihm klar, daß seine Mutter in einem System lebte, in dem das
einfache Sein nicht vorkam. Spaß, Dinge, die man tut, weil sie lustig sind.
Sadismus, aha, sagte auch seine neue Therapeutin, die am Waschbecken ihre Hände
desinfizierte, als bereite sie sich auf eine Operation vor. Ihm war, als hätte
sie seine Gedanken gelesen und wollte nun ihn sezieren, wie er die Baumwanzen
seziert hatte. Aber sie beobachtete nur neugierig seine Mutter, die ihr
Yves-Saint-Laurent-Jackett über einen Stuhl warf. Über den Stuhl auf der
falschen Seite des Schreibtisches — über den Therapeutenstuhl. Sie hatte
vergessen, daß sie sich nicht in ihrer eigenen Praxis befand. Als die Therapeutin
die Trocknungsprozedur abschloß, fiel das Handtuch auf den Boden, und sie
machte angriffslustig einen Schritt darauf zu, hob es aber nicht auf, sondern
trat danach.
    Alakar erinnerte sich an ihren
Gesichtsausdruck. Er hielt sich den Fuß, der vom Koffer abgerutscht und gegen
den Bettpfosten geprallt war. Im geschlossenen Koffer hörte er seine Mutter.
Befriedigt waren ihre Augen der fremden Therapeutin gefolgt, während sie erneut
den Wasserhahn aufdrehte, sich wieder die Hände wusch und sie ausgiebig in alle
Richtungen schlenkerte. So lange, bis wenigstens ein winziger Spritzer Wasser
auf dem teuren Jackett seiner Mutter gelandet war. Sie starrte, die Therapeutin
starrte, Blicke, die besagten: Jemand ist hier psychotisch. Und jemand ist
nicht ich.
    Der Koffer war schwer, als Alakar ihn
den Gang hinunterwuchtete, viel zu schwer für eine einzige Übernachtung. Er
verstaute ihn unter der Treppe. Unter dem Tisch hatte Antonio damals »Haus — Baum
— Mensch‹ gemalt, weil er begriffen hatte, daß Kinderzeichnungen Therapeuten
immer ablenkten. Trotzdem stritten die beiden weiter, diesmal nicht über Stühle
oder Wasserspritzer, sondern über die analytische Auslegung des Menschen in ›Haus
— Baum — Mensche Antonios Mensch sah eher wie eine Bestie aus, ein grausiges
Tier aus den Tiefen der Ozeane. Überhaupt nicht so, wie der farbenprächtige,
selbstbewußte Antonio aussah, den er eigentlich hatte zeichnen wollen.
Plötzlich fiel Alakar ein, daß angesichts der gemalten Bestie, die falsch und
anders war, endgültig die Spaltung in Antonio und Batman stattgefunden hatte.
    Als seine Mutter sich verabschiedet
hatte, schlug die Therapeutin Batman ein kleines Rollenspiel vor und begann
danach, ihn zu beschimpfen. Sie hatte bereits mehrere Kinder von Kollegen in
der Mangel. Immer dasselbe bei euch, sagte sie, versaute Roherfahrungen,
Verlust der denkenden Brust. Wer soll das aushalten? Ich laß mich jedenfalls
von eurem Primatengehabe nicht terrorisieren. Batman hielt die Augen auf seine
gemalte Bestie geheftet und erstarrte. Niemand war schuld. Keiner hatte einen
Fehler gemacht. Höchstens die Therapeutin, als sie ihm das Püppchen in die Hand
drückte, das ein Baby sein sollte. Und sie war die Mama dazu. Ganz sanft hatte
erst das Baby-Püppchen, dann Batman ihr über die Brust gestrichen. Gaga, sagte
das Baby-Püppchen. Ein Spaß, den sie keineswegs verstand. Sie schrie. Batman
war Batman. Niemand war schuld. Nein, keiner hatte einen Fehler gemacht.
    Bevor er das Taxi rief, verpackte
Alakar die Reste der Stockschwämmchensuppe in Tupperdosen. Ganze vierundzwanzig
Stunden verweigerte Batman das Essen, weil er das Wort Primat, das in seinem
Kopf kreiste, nicht im Pschyrembel fand. Seit er vier war, konnte er darin
lesen, aber das half ihm diesmal nicht. Erschöpft gestand er seiner Mutter
alles, das mit dem Busen und auch das mit den Primaten. Das soll wohl der
provokative Ansatz sein, sagte sie und schlug die Tür hinter sich zu. Mit dem
Zeigefinger malte Batman schnurgerade Straßen in seinen kalten Kartoffelbrei.
Die Wegesränder schmückte er mit Sauerkraut, das ihn an wild wuchernde
Trauerweiden erinnerte. Schon früh litt er unter einem verhängnisvollen Zwang
zu biologischen Bildern.
    Nach dem Gewitter hing die Sonne wie
ein gleißender Schneeball über dem Fluß. Der künstliche Salztümpel glitzerte,
und drückende Hitze senkte sich auf die Bucht. Alakar schloß die Haustür ab.
Das Schnackern und Rufen der Vögel war verstummt. Seine Mutter hatte damals
sofort die Therapeutenvereinigung alarmiert. Eine Art Stammesrat, bei dem man
standesrechtliche Erschießungen einfordern konnte, stellte sich Batman vor,
während er auf seinem Bett das Kommando erwartete. Sie würden ihm Gewehre auf
die Brust setzen. Er

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