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Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Riedel
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wirklich kein Wunder, daß sich in ihrer
nostalgischen Kiste wenig Substanz befand. Kaum mehr als das Foto, das ein
japanischer Tourist in Mexiko gemacht hatte, obwohl Verna sich schämte, daß
Izzy ihn darum bat. Ihr weizenfarbenes Haar, das unglückseligerweise so flog,
daß es ihre Gesichter zu Dreivierteln verdeckte, dahinter rosafarbene Häuser,
Salina Cruz. Ganz vorn der Käfig mit alten Truthähnen und auf einem Benzinfaß
das tote Küken, das sie aus einem Autowrack gerettet hatte, kurz bevor es
starb. In der Mittagshitze begann es zu stinken, und komische Insekten
krabbelten aus den gelblichen Flaumfedern hervor. Verna legte den Schnappschuß
beiseite, unter dem sich die Abschrift des mißlungenen Liebesgedichts mit dem
Saxophon im Winter fand, außerdem eine vertrocknete, bis zum Filter gerauchte
Kippe und eine leere Schachtel Zigarettenpapier. Habibi, die türkische
Marke, die Izzy zum Drehen bevorzugte. Habibi, mein Schatz, heißt Liebling.
    Als Verna ihr Gesicht ganz nah an
seines hielt, nahm sie den schwach säuerlichen Geruch wahr, der von dem Abzug
ausging. Er hatte weiße Augen gehabt, es mußte von dem
Zen-Kalligraphiezeug gekommen sein, mit dem er sich dauernd beschäftigte. Auf
dem Bild jedoch sahen seine Augen zwar verblichen, aber eindeutig blau und
wäßrig aus. Karla hätte gemutmaßt, sie litte an einer Wahrnehmungsverschiebung.
    Häßlich, zischte ihre Mutter an jenem
ersten Nachmittag, ein häßlicher Kerl mit seiner Trichterbrust! Zusammen hatten
sie Kirschkuchenreste in den Abfall gekratzt, Rot auf Grau, Blut und Asche. Bis
dahin war der Tag erträglich gewesen, Izzy hatte sich bewußtlos geredet und
entspannte in der Heuschreckenposition im Garten, und die Hunde, die sein Yoga
für eine Aufforderung zum Rudelkampf hielten, besprangen ihn. Die Heuschrecke,
das wußte Verna, hatte auch eine sexuelle Komponente. Eine Weile verharrte ihre
Mutter am Fenster, das Geschirrtuch in der Hand, genauso regungslos wie Izzy.
Ihr Gesicht war fahl, als sie sich schließlich umdrehte und sagte: Verna, ich
denke nicht, daß Isaak der Mensch ist, der dich intellektuell und seelisch
wirklich fordern könnte. Verna entsann sich keiner Emotion, nur, wie sich die
aufgeweichten Reste des Kuchens unter ihren Fingernägeln anfühlten. An den
Kloß, als stecke ihr ein Bissen frischen Brotes in der Speiseröhre. Wenn ihre
Mutter gewesen wäre, wofür sie sich hielt, eine Freundin, hätte an diesem Punkt
ein Gespräch begonnen. Wie damals Sexton und Plath hätten sie über rohe und
gekochte Dichtung diskutiert, über den Vorzug, den das gefühlte Gefühl
gegenüber dem gedachten Wort hat. Leichtherzige, kühne Sätze, springende
Fische, der Anflug von dünnen Blaualgen auf einem Stein an einem Strand. Aber
Auge in Auge mit dem schattenlosen, grellen Gesicht ihrer Mutter, das alles in
ihr blendete, hatten ihr die Worte gefehlt.
    Als Snodgrass seine Nase jiepernd in
die Ritze zwischen Schwelle und Tür schob, schreckte Verna auf und sagte, daß
ihre Spüllauge immer scheußlich roch, obwohl sie dasselbe orangefarbene,
antibakterielle Zeug benutzte wie ihre Mutter. Leider konnte sie es nie
verwenden, ohne an Streptokokken zu denken oder an Staphylokokkus aureus, die
goldene Gefahr. Isaak scheint mir ein Mann zu sein, antwortete ihre Mutter, dem
nichts ferner liegt als der unmittelbare, praktische Zugang zum Leben. Mit
reptilienhaften, ganz ungewohnten Bewegungen trat Verna neben sie ans Fenster
und tauchte in die Aura ihrer Mutter ein. Erwartungslosigkeit, fehlende
Distanz. So standen sie Schulter an Schulter, und für einen frostigen Moment
der Gemeinsamkeit betrachteten sie Izzy, der sein Hemd abgelegt hatte und ahnungslos
von der Heuschrecke in die Kobra glitt. Verna zupfte an ihrer Nagelhaut, spürte
Bakterien in sich aufkochen und fühlte sich schmutzig und krank. Dann sah sie
ihr Spiegelbild in den schwarzweißen Küchenfliesen und wie ihr Spiegelbild das
Obstmesser aus der Magnethalterung nahm und es der fremden, alternden Frau
neben sich in den Nacken stieß. Es drang leicht ein, es war einfach, das
Messer, sie und unter ihr die Medulla oblongata ihrer Mutter. Das Herz der
Nerven, ein süßes, verschattetes Geflecht. Schwer hatte sie ausgeatmet und dann
gesagt, daß Izzy Yoga betrieb, wie andere Leute beteten.
    Aber kratz die Springform bitte noch
aus, sagte ihre Mutter.
    Sie waren eben nicht Sexton und Plath
gewesen. Im Leben ging es auch nicht um gekochte oder rohe Dichtung. Vielleicht
war es zuviel von der

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