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Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Riedel
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verteilten. Zimbelkraut,
Cymbalaria muralis, ein hellvioletter Spaltenkriecher, der Alakar
interessierte, weil die Blüten haargenau die Schattierung von Doris Knöchels
Augen aufwiesen. Nur zum Vergnügen war er einmal mit ihrem Foto losgezogen und
hatte die Farbtöne verglichen. An jenem Tag war die Luft über dem Ort voll von
Doris Knöchels famosen Augen gewesen, ein augenhafter Nebel, der im matten
Himmel verwischte. Fensterscheiben blinzelten in der Sonne. Der Persische
Ehrenpreis an den Straßenrändern nahm überhand, aber die Kratzdistel war fast
ausgerottet.
    Nervös lehnte sich Alakar gegen die
Taue, als die angeleinte Fähre in stumpfes Wiegen verfiel, und verlor beinah
das Gleichgewicht. Die einzelne weißgraue Möwe, die ihn mit den Flügelspitzen
berührt hatte, kreiste über blinkendem Wasser. Der überraschend helle Haufen
Kumuluswolken erinnerte ihn an seinen letzten Winterurlaub in Florenz. Dort war
der Himmel auch gläsern, aber winzig gewesen, verlorengegangen angesichts der
Pracht der Gebäude. Die ganze Zeit über hatte der Wetterbericht Regen
angekündigt, und es gelang ihm nicht, sich wirklich zu entspannen. Zwischen Schuhgeschäften,
Stadtpalästen und puttenköpfigen Italienerinnen hatte er sich eingeigelt, etwas
kam auf ihn zu, das Schicksal. Später stellte sich heraus, daß es nur eine
Kinderkrankheit gewesen war. Röteln, deren Anmarsch er mit Gottes Faust
verwechselte.
    »Al-kalar!« Verstört blickte er zu der
Möwe auf. Sie stieß ein rauhes ›Kjau‹ aus. Lebenslang verbanden sich
Heringsmöwen zu festen Paaren, wobei durchaus auch Scheidungen möglich waren.
    »Al-kalar!« Über den Steg kam der Quell
des Lärms aufs Schiff geeilt, Erma Zoffi, die von weitem einer laufenden Birne
ähnelte. Sie hatte Al-kalar gerufen. Wahrhaftig, er mußte ein Medium
sein, ein Visionär. Sein harmloses Gedankenspiel hatte die nächtliche Szene
zwischen Erma und ihrem Mann in die Welt gebracht, und Al-kalar, der falsche
Name, flüchtete sich aus seinem Kopf in ihren. Luftbestäubung oder akausale
Verknüpfung, egal, wie man es nannte. Abstrakte Muster jedenfalls, die alle
Steine, Farben und Gedanken miteinander verbanden. C. G. Jung hatte den Tanz
erkannt, Wolfgang Pauli darunter gelitten, ein Physiker, den seine Kommilitonen
die Geißel Gottes nannten.
    »Diese Hitze«, rief Erma aus, »eine
wahre Geißel Gottes, nicht wahr?«
    »Erma«, sagte er freundlich, »wie
schön, Sie schon wieder zu sehen!«
    Das hatte er sich bereits überlegt, als
sie über den Landungssteg rannte.
    »Mein lieber Al-kalar«, keuchte sie,
während sie sich gegen die Brüstung warf, »wollte Sie nur kurz davon in
Kenntnis setzen, daß gerade eine größere, ähm, ziemlich große, das heißt
gewaltige Postanweisung eingetroffen ist!«
    Aus ihren hoffnungsvollen Blicken
schloß er, daß sie eine Antwort erwartete, aber da ihm so schnell nichts
einfiel, sagte er einfach noch mal: »Wie schön!«
    »Nicht wahr?« sagte Erma, und nach ein
paar zähflüssigen Minuten, die Alakar dazu nutzte, sein Lyrikbuch zu mustern,
legte sie ihm behutsam die Hand auf den Arm. »Ich meine, was sollen wir mit all
dem Geld machen ?«
    Er verstand, was sie sagte, war jedoch
unfähig, sich zu rühren, während er beobachtete, wie ihr Ober- und Unterkiefer
miteinander rangen. Über den faltigen Lippen sprossen mehrere graue Haare, die
in alle Richtungen abstanden, und etwas lauter wiederholte sie: »Wir müssen
etwas damit tun. Ich empfehle ein Dollar-Depot. Bei Staatsanleihen und
solchen Sachen weiß ich nun nicht... Aber wenn es eilt, könnte ich meinen
Gatten fragen!«
    Ihm wurde heiß und kalt. Jetzt nur
nichts Falsches sagen. Kaltblütig sein.
    »Ja, wenn«, sagte Alakar, »also, wenn
Sie ein Problem haben, da bin ich bestimmt nicht die richtige Adresse. Ich habe
selbst, das heißt — ich kann nicht klagen. Aber finanziell komme ich gerade so
zurecht!«
    »Al-kalar! Ihre Million! Ich rede von Ihrer Million, nicht von meiner. Natürlich würde ich Ihnen was abgeben, wenn ich eine
gewonnen hätte. Aber ich käme doch nie auf die Idee, Sie nach Geld zu fragen.«
    »Mein Geld«, wiederholte er milde.
    »Ihre Mil-li-on, Al-kalar, die Sie
gestern bei Verna Albrecht gewonnen haben. Die ist schon da! Mein lieber
Schwan, die Tele-Funs sind schnell!«
    Alakar stöhnte und rieb sich die Stirn.
    »Al-kalar, Sie sind ja ganz
durcheinander. Soll ich Ihnen ein Glas Wasser besorgen? Oder was Stärkeres? Nur
kippen Sie mir hier nicht um.«
    »Meine Million«,

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