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Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Riedel
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passend fand.
    Sie plazierte das Bild aus Salina Cruz
neben sein Porträt und tippte mit dem Fingernagel das tote Küken auf dem
Benzinfaß an. Izzy lachte, er hatte zu viele weiße Zähne.
    »Du böses Mörderhühnchen!« sagte sie.
Um das Brustbein hatten Alice und sie sich früher immer gezankt. Wenn man es
auseinanderzog, durfte eine sich etwas wünschen. Aber Alice bekam immer den
längeren Teil. Verna betrachtete ihre leere Schatzkiste. Ein Wunschknochen.
Nicht, daß sie ihn Izzy mißgönnt hätte.
    Sechs Stunden vor Brainonia fand
Alakar Macody in die Welt zurück, warf den Koffer ins Taxi und schlug die
Klappe vernehmlich zu. Der Knall klang nach Verrat und Selbstaufgabe.
    »Der Dichter kann überall dichten«,
behauptete er, während die Augen des Fahrers im Rückspiegel rollten, »und
möglicherweise fällt bei Brainonia sogar etwas Bekenntnislyrik ab!«
    Gewichtig nickte der Fahrer, ein
breigesichtiger Mensch mit freundlichem Wesen. Bekenntnislyrik, nun ja. Aber
lag nicht das Dasein ohnehin Lichtjahre vom Anspruch an das Absolute entfernt?
Halb auf der Rückbank liegend, warf Alakar einen letzten, sehnsüchtigen Blick
auf sein Haus und dachte über die physikalische Welt seines Vaters nach. Eine
Kugel, die über Schrägen rollte, abseits von merkwürdigen Anrufen, belanglosen
Verna-Namen und verzweifelten Stimmen. Je weiter man sich aus dem Bannkreis des
Absoluten entfernte, um so maßloser wurde der Anspruch. Das schien die
Wirklichkeit zu sein, ein Prinzip. Bereits als die sanfte Dachlinie seines
Hauses außer Sichtweite geriet, bekam Alakar Heimweh. Entferne dich, und du
kommst nah, es mußte sich um ein Naturgesetz handeln.
    An der Anlegestelle knöpfte der
Taxifahrer ihm ungerührt drei Scheine für die kurze Fahrt ab. Sein steinharter
Schädel stieß unter Hecken von karottenfarbenem Haar zwischen den Sitzen
hervor. Alakar bemühte sich, nicht hinzusehen, denn er glaubte an Omen, und
dies war das zweite an diesem Tag. Das erste war ein Tontopf gewesen, der vom
Tisch gehüpft und zerbrochen war. Katalytisches Exteriorisationsphänomen, Dinge
springen, wenn die Wirklichkeit springt, Freud und Jung, ihre Merkwürdigkeiten
und Geheimnisse. Das Bücherregal, das ausgerechnet in dem Augenblick krachte, in
dem die beiden über okkulte Phänomene stritten, hatte schon Batman in höchstem
Maße irritiert. Stets hoben Gleichzeitigkeiten die Zeit aus den Angeln, Dinge
verwirbelten ohne kausalen Zusammenhang, als ob die Götter im letzten Gang
führen. Die Welt implodierte, randvoll mit verrückten Atomen außerhalb jeder
Leitbahn. Wenn er jemals seinen Vater wiedersähe, würde er ihn fragen, welche
Erklärung die Newtonsche Mechanik dafür bot.
    Am Ufer dümpelte die Fähre wie eine
unbeholfene Ente, und Alakar umklammerte ein schmales blaues Bändchen über die
Theorie der Lyrik. Die Sonne schien plötzlich sehr grell. Er drehte den Kopf
weg, als er Erma Zoffi mit einer Handvoll spitznasiger Enkel vor der Poststelle
auffällig winken sah. Die Jungs winkten erst, nachdem Erma sie mit
Ellbogenstößen dazu aufgefordert hatte, drei Pinguine in weißen Hemden, die
heilige Einfältigkeit. Alakar tat so, als lese er im Gehen, aber er malte sich
aus, wie Erma Zoffi nachts mit ihrem Gatten plauderte. Nach der Show würde sie
ihm anvertraut haben, ihr sei aufgegangen, was arm sein wirklich bedeute, und
der Mann löschte eilig das Licht. Vielleicht murmelte er noch, daß Leute wie
Macody auch vor der Show noch nie mit jemandem aus dem Ort geredet hätten. Bis
zum Morgengrauen mochten sie sich dann über der Namensfrage in den Haaren
gelegen haben. Er heißt gar nicht Al-a-kar, würde der Mann gesagt haben,
Al-ka-lar heißt er, und Erma schämte sich, weil sie über Wochen einen solchen
Namens-Fauxpas begangen hatte, ein Wort, das sie Fuchspaß aussprach.
    »So ein Hübscher, der Macody«, rief
Ermas Schwiegertochter über die Mole, dabei knautschte sie einem ihrer Jungen
das Ohr.
    »Aua«, sagte der Junge, und Erma
erwiderte: »Ein ganz, ganz Hübscher. Eigentlich. Wenn man bedenkt, daß ihm
etwas Wichtiges fehlt.«
    »Wieso? Er hat doch jetzt Geld«, sagte
die Schwiegertochter, die eine moderne Kittelschürze trug. Bohlen jammerten und
das Leder seines Koffers quietschte, als Alakar die Fähre betrat. Er duckte
sich, weil eine Heringsmöwe im Tiefflug seine Stirn berührte. Von der Reling
aus war der Ort ein waberndes Lebewesen, rote Ziegeldächer und Schindeln, die
freundliche Küsse an Mauern voller Zimbelkraut

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