Die Endlichkeit des Lichts
Hybris,
oder?«
»Und auch nicht sozial«, sagte Erma
Zoffi. Er sah zu, wie die Gedanken in ihr Bewußtsein einbrachen, Kalmus
raschelte, und sie hob den Kopf. »Aber so ist eben die Welt, Al-kalar. Besser,
man gewöhnt sich früh genug daran. Wodurch, wenn ich mal fragen darf, haben Sie
beiden denn damals eigentlich die Natur verloren?«
»Adorno würde sagen, durch Sie. Das
versuchte ich Ihnen eben zu erklären.«
»Durch mich? Also! Das hätte ich nun
wirklich gemerkt!«
»Nun, Erma, Sie müssen sich das
vorstellen wie eine, sagen wir, Krankheitsvertretung. Sie haben Fieber, und Ihr
Mann trägt die Post für Sie aus. Wenn er nun ein paar Briefe vergißt und Sie
Ihre Stelle verlieren, hat er es verbockt. Jetzt ist er das nicht-lyrische Ich.
Aber Sie, das lyrische Ich, müßten es für ihn ausbaden.«
»Na!« sagte Erma, »also! Das glaube ich
auch gar nicht, daß er das tun würde.«
»Wer?«
»Mein Mann!«
»Was denn?« fragte Alakar behutsam.
»Briefe austragen. Das haben Sie doch
selbst gerade vorgeschlagen. Aber da kennen Sie den schlecht, der kriegt ja
allein nicht mal ein Spiegelei gebraten.«
So weit — so gut, dachte Alakar und
lächelte Erma Zoffi zu. Ihre brüchige Haut strahlte im Licht des Eliotschen
Blicks. Eine schlichte Posthalterin — sie wäre die wahre Music-Hall-Kandidatin
gewesen. Mitklatschen, mitsingen, mittrampeln, Kunst schaffen, lebendige Kunst,
die unter den Rädern von Automobilen und im Gequäke der Urgrammophone ihrem
Untergang entgegensah. Auch seine Mutter war eine aufrechte Feindin
elektronischer Animation gewesen. Kein Fernsehen, aber unendlich viele
Mitmach-Spiele. Wer hat Angst vorm schwarzen Mann? Niemand! Und wenn er kommt,
dann laufen wir. Schon Batman rannte, von seiner spielwütigen Mutter gehetzt,
durch den Park bis auf die Bäume. Für noch unbeschwertere Mitmach-Spiele wurde
er in Kinderfreizeiten gesteckt, während sie Zwangsneurotiker therapierte. Noch
in der Pubertät hatte Antonio ein ganzes Jahr lang darum gezankt, ob er
harmlose Programme wie Sport, Spiel, Spannung sehen dürfe, aber sie hatte
gewonnen. Also las er eben Bücher. Als sie ihn in den letzten Klammergriff
nahm, eine psychische Zahnspange, die seine Bedürfnisse richtete, verlagerte
sich das Debakel auf die Schizophrenie-Diskussion. War nicht T. S. Eliot ein
geheimer Verrückter gewesen?
Streit bildete, und Antonio, der
Apportierhund, gab ihr Vorlagen, weil er die Taktik seiner Mutter nicht
durchschaute. Mit ihren Anfeindungen trieb sie ihn ohnehin nur tiefer in die
Eliot-Welt. Aufregung überfiel ihn, als er las, wie der Schöpfer dunkler
Embryonen und noch düsterer Rufe mit einer dicken Schicht grünen Puders im
Gesicht bei Virginia Woolf aufgekreuzt war. Wie sie daraufhin beinah in
Ohnmacht fiel. Blaß und herbstnasig schöpfte Antonio vor dem Spiegel Atem,
bevor er unter Heureka-Rufen in die Küche eilte. Gebeugt reparierte seine Mutter
eine Querpfeife, aber immerhin unterbrach sie ihn nicht, als er ihr seine Entdeckung
vortrug. Selbstironie war das, rief er, nieder mit dem Ernst der hohen Kunst!
Wortlos putzte seine Mutter ihre
Pfeife. Eliot wollte nur zeigen, sagte er, daß selbst in dem schlimmsten
Menschen ein Dadaist steckt! Geradezu erleichtert fühlte er sich, als hätte ihm
der alte Dichter durch seinen grünen Ausfallschritt eine unerwartete Erlaubnis
erteilt. Einen geheimen Fußtritt, der Antonio, den jungen Dichter, auf eine aufregende,
neue Ebene beförderte. Was redest du bloß wieder? sagte seine Mutter und kniete
nieder, um einmal hoch und schnell in das Instrument zu blasen. Die grüne
Farbe, sagte Antonio erlahmend. Ein schmerzhafter Pfiff. Blödsinn. Dieser Mann,
Eliot, war verrückt. Schrieb wirres Zeug, nicht weniger wahnsinnige
Ungereimtheiten als Antonio. Und basta und finito.
Erma Zoffi schnüffelte, und auf ihren
Pupillen lag ein geleeartiger Film von Verwirrung. Sie hätte Eliot gefallen,
man konnte sie beeinflussen, hohes und niederes Sprachniveau zu einem Witz
verbinden, der sie zum Lachen brachte. Auf, auf, die Kunst! In
Schildkrötenformation gegen die Schwebezustände der kleinen Frau mit der
Pfannkuchenwarze! Unglückseligerweise war ausgerechnet das Genie daran gescheitert.
Eliot zum Trotz waren Gedichte immer noch kein Gemeingut, sonst hätte Erma
Zoffi wenigstens ein einziges aufgesagt.
»Dieser Adorno...«, sagte sie statt
dessen nachdenklich.
»Ach, lassen wir das«, sagte Alakar
amüsiert, »es war auch nur ein Experiment.«
»Wie die Kochkunst
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