Die Endlichkeit des Lichts
Manasse, als Kavo ihm die Genehmigung erteilte. Allerdings kam Manasse
nur vor der Zeit zu Sinnen. Ein israelitischer Sklave, der schnell darum bat,
wieder aus den Krallen der Langeweile befreit zu werden. Niemandem war seine
Abwesenheit aufgefallen, bis sich eine Reinigungskraft erkundigte, wo denn der
nette Herr geblieben sei, der im Waschraum immer Averna mit Zitrone trank. Aus
seiner Schreibtischschublade rieche es nach Gorgonzolakäse. Das steinharte
Brötchen wurde in den Abfall geschafft. Natürlich mußte Verna das erledigen.
Obwohl letztlich Kavo die Betriebsratsidee wie einen Bleistiftstrich vom Papier
tilgte, kehrte sein Knecht zurück, grau um den Mund, die Stimme höher und
schriller als zuvor. Aber er trug, dem Rat seiner Friseuse folgend, das Haar
mit Gel nach hinten gekämmt und gehörte seitdem auch zu den Schleimscheißern.
Die Glasbausteine waren glatt wie Eis. Verna stolperte, aber sie legte ihr
sündhaftes Lächeln auf, als sie Schritte die Treppe herunterkommen hörte.
Mit leeren Augen starrten Erma Zoffi
und Alakar der Kanalböschung hinterher, die sich zu bewegen schien, als die
Fähre flußaufwärts tuckerte. Schon nach kurzer Zeit deutete Erma auf die
ästigen Igelkolben und braunen Zigarren des Kalmus, der mannshoch die Ufer
bestand.
»Gut gegen Paradontose«, sagte sie und
erwähnte eine Rezeptur gegen wehe Zähne, die in ihrer Familie seit Generationen
Verwendung fand. »Sie sagen ja gar nichts«, sagte sie, als sie Alakars
verlorenen Blick bemerkte. Im Spiegel der Wellen suchte er seine eigenen Augen,
während die Sonne ihm ominöse Zeichen auf den Nacken brannte.
»Vielleicht seid ihr Millionäre ja so«,
sagte Erma mutlos, nur um sich augenblicklich wieder für die Schöpfung zu
begeistern.
»Ach, Gott, Al-kalar, sehen Sie da — Wasserläufer!
Und Bachflohkrebse! Denken Sie mal an, acht Tage lang klammert sich das
Männchen bei der Paarung am Weibchen fest. Hätten Sie das gedacht? Ich nicht.
Mein Mann hat das berichtet. Und ich sagte: Das fehlt mir gerade noch.«
»Wie schön«, sagte Alakar ein letztes
Mal, und als ihm nichts mehr einfiel, wagte er ein Experiment.
»Erma, kennen Sie eigentlich Theodor
Adorno?«
Laß uns ein Spiel spielen, sagte Eliot,
laß uns einen Menschen erfinden, der an der Belehrung glückselig wird. Erma
Zoffi lächelte, während hinter der Biegung Stück für Stück die spitzwinkligen
Türme der Raffinerien in Sicht kamen.
»Natürlich!« sagte sie beleidigt,
Theodor Adorno, das ist doch der, der vor Monaten bei Brainonia mit ›Die
Kochkunst Israels‹ gewonnen hat! Den fand ich sehr sympathisch!«
»Ich weiß nicht«, sagte Alakar, »meines
Wissens ist er bereits vor dreißig Jahren verstorben. Wobei ich mich aber auch
irren kann.«
»Verstorben!« sagte sie. »Da müssen Sie
ja völlig mit den Nerven runter sein, Al-kalar. Ich hatte auch mal einen
Kollegen, der gestorben ist. Meine Herren, das war wirklich schrecklich.«
»Hat Ihr Kollege denn auch
geschrieben?« erkundigte sich Alakar aufgeschlossen.
»Sicher«, sagte Erma, »Briefe, was
glauben Sie denn! Ein Briefträger, der keine Briefe schreibt, das ist schlimmer
als ein Metzger, der kein Rindfleisch ißt. Wie war Ihr Kollege denn sonst so,
Al-kalar? Charakterlich? Hat er auch Pilze gesammelt?«
»Nein, nein«, sagte Alakar, »auf keinen
Fall! Keine Pilze, keine Blumen. Leider war er überzeugt davon, daß das
lyrische Ich die Natur grundsätzlich verloren hat.«
»Oh, auch die Pilze? Na, das tut mir
leid!«
»Nun«, sagte Alakar, »keine Sorge. Am
Ende kann der Mensch die Natur natürlich wiederfinden. Jedenfalls, wenn er
zufällig Dichter ist.«
»Sagen Sie bloß — andererseits, wenn
man in den Wald geht und Augen im Kopf hat, ist das gewiß kein Kunststück !«
»Für Sie«, sagte Alakar, »vielleicht
nicht, Erma. Für den Dichter allerdings bedeutet es Fron. Der Dichter muß sich
zunächst in sich selbst versenken, und dann gilt es, die Natur
wiederzugebären.«
»Die ganze Natur«, sagte Erma, und ihre
Stimme schlenkerte, »gebären?«
»Unter uns«, sagte Alakar vertraulich,
»ein Gott war Adorno deshalb nicht. Da ist die Frage schon erlaubt, ob er
letztendlich recht hatte. Ich meine, was bedeutet das im Umkehrschluß? Doch nur,
daß keiner sterblichen Seele die Möglichkeit zur Wiedergutmachung bleibt. Nur
der unsterblichen Seele, dem Dichter. Die ganze Unkultur rehabilitieren. Bloß
weil der liebe Gott uns ein kleines Talent mitgegeben hat. Das ist doch
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