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Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Riedel
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Israels«, sagte Erma
Zoffi glücklich.
    »Ach, Al-kalar, ich liebe Experimente!«
    »Huhu«, rief eine Stimme. Nadeln
steckten mit der Spitze nach innen in Annetts Mund, aber das Käferkostüm saß
wieder tadellos.
     
    »Huhu«, sagte Verna zurück, während
sich ihr Lächeln entfaltete, eine außergewöhnliche, sehr zarte Brautblume,
Sterbeblume. Das war es, was sie alle an ihr liebten. Selbst ihre Mutter war
darauf hereingefallen, als sie zum ersten Mal auf dem Bildschirm so lächelte,
wie eine Fremde. Einnehmend und unantastbar. Im Reflex zogen sich Vernas
Mundwinkel auseinander, sobald sich eine Kamera auf sie richtete. Süßes schmolz
ihr im Mund, milde Gewürze über glitzernden Zähnen. Das Verna-Wesen erwachte,
grabeskalt und schauerlich. Kavo nannte es Schirmpräsenz, ein Wort, bei dem sie
nur an Regen dachte.
    »Hast du etwas gesagt?« rief Annett ihr
geigenhell hinterher.
    »Schönen Tag«, sagte Verna in
kindlichem Ton und hoffte, daß sie nichts gesagt hatte, »schönen Tag, schöne
Show!«
    »Schönen Tag, schöne Show!« kiekste
Annett, ein Ritual, das sie beide beherrschten wie den wiegenden Gang auf hohen
roten Stilettos. Zum Kotzen, sie läuft wie meine Mutter. Nach dem Anruf mit
Izzys fingierter Todesnachricht schien ihre Tochter für sie gestorben zu sein.
Täglich wanderte Verna damals auf viel zu spitzen, lackierten Schuhen zu
Tele-Fun, wo sie anfangs als Rechercheurin arbeitete. Wagenladungen von
Kandidaten mußten aus Schlamm und Morast gezerrt und poliert werden, bis sie
glänzten. Verna war eine Handlangerin und schob Dummköpfe vor die Kamera. Als
sie einmal Denise, die Moderatorin der neuen Quizsendung Brainonia, vor
einem Schaufenster traf, erkannte die sie nicht. Aber Verna ahnte, daß
wenigstens Kavo sie mochte. Dann kam der Glücksfall. Von einer Stunde auf die
andere verzerrte sich Denises Gesicht, als hätte sich ihr ein Haken unter die
Haut geschoben. Die Nahaufnahmen verrieten es, etwas fiel in die schräge Ebene,
eine halbe Nase, ein Auge, der Mund. Ein Gesicht, das abstürzte. Lautlos
beobachtete Verna den Untergang. Denise war Philosophin und zitierte manchmal,
in den ungünstigsten Augenblicken, sogar Habermas oder Sloterdijk in der Show,
von Kavo mißtrauisch betrachtet, als könne sie eines schönen Tages wie ein
Flugzeug in der Luft explodieren. Denn Brainonia war ein Airbus, der
aufstieg, das Fahrwerk gerade eingezogen, während der Ton holpernder Räder noch
in der Luft hing. Wie man hörte, litt die Moderatorin unter den Folgen einer
Nervenoperation, obwohl jeder wußte, daß es sich um ein Teillifting gehandelt
hatte. Als sie dann in der Zeitung standen, die Moderatorin und ihr
scheußliches Foto, baute sich Kavo in Vernas halbem Büro auf, das mit Denises
Autogrammkarten gepflastert war.
    »Schätzchen, ich habe einen Anschlag
auf dich vor!« Der Erzengel bei der Verkündigung. Verna nickte. Ich liebe dich,
sagte sie, als die Kameras beim Casting surrten. Ich liebe dich, als das
Verna-Wesen auftauchte. Ich liebe dich, sagte auch ihre Mutter, als ihre
Tochter endlich in der Öffentlichkeit erschien. Geduld zahlte sich letzten
Endes aus. Allerdings erfuhr Verna erst viel später, daß ihre Mutter wie Lots
Weib vor dem Fernseher gesessen hatte, jeden Abend um halb acht, außer
samstags. Poren wurden vermessen, Gesichtsschnitt und Stimmlage verglichen, und
sie empfand ganz deutlich, daß sich die gemeinsamen Basteleien der frühen Jahre
amortisiert hatten. Verna, das Kunstwerk, war auferstanden.
    Zwar klebte der Streit, der seinerzeit
unter Beteiligung von Isaak Stern, dem Buddhisten und Lebenskünstler,
ausgebrochen war, noch zwischen ihnen. Ein kautschukartiges Geflecht aus
Enttäuschung und Kränkung. Aber vor der Kamera war Verna so hinreißend und
intelligent, so verfeinert, daß ihre Mutter nicht zögerte und ein Bild
in der Küche aufstellte, das die Familie in den sechziger Jahren bei einem
Ausflug nach Amsterdam zeigte. Mutter und Tochter trugen identische hellgrüne
Kleider aus Trevira Zweitausend. Ein großes und ein kleines, vom Kragen bis zum
Saum durchrüscht von einer kaskadenartigen, zornigen Borte. Noch jahrelang
hießen sie die Wasserfallkleider, aber leider war der Abzug schwarzweiß, so daß
die wunderbar schäumende Farbe nur zu erahnen war. Dafür zeigten die Kontraste
um so deutlicher Vernas verstockte Miene, aus dem Bild herausgedreht. Nach
Ansicht unbeteiligter Betrachter starrte das Kind die leere Luft an.
Ursprünglich war das Foto jedoch ein

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