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Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Riedel
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Hände zurück. Genauso
plötzlich drehte Verna Albrecht den Kopf. Ihr Blick wurde klar, und sie
musterte erst die Vernapuppe, dann Vera, die ihre Handflächen hochhielt und sie
betrachtete, als trügen sie Brandwunden.
    »Dieser Haarschnitt steht Ihnen nicht,
Vera«, sagte Verna deutlich, »überhaupt nicht, wenn ich es richtig bedenke.«
    »Finden Sie?« fragte Vera.
    »Ja, finde ich«, sagte Verna, »aber
massieren können Sie gut.«
    »Danke!« sagte Vera erfreut. Dann
betrachtete sie die Silberplatte. »Himmel, nun haben wir das Essen ganz
vergessen. Schau sich einer den Salat hier an.«
    Doch das Geheimnis der Sünde, sagte Eliot, ist ein Abgrund, den
der Blick des Menschen nicht auslotet. Vera wandte sich um und strich im
Gehen der Vernapuppe über das Haar, die Gummisohlen ihrer Schuhe quietschten.
Ich will ein Schein sein, dachte Alakar, das Echo eines Satzes, des wirklichen
Satzes, der alles sagt. Warum tun sie so, als ob nichts wäre? Sind wir hier
etwa alle verrückt?
    »Ich bin müde«, sagte Vera unvermutet.
»Ich bin wirklich sehr müde. Deshalb mach ich mich noch schnell frisch, und
dann gehe ich ins Bett. Wer will, kann ja nachkommen.«
    Als sie die Tür hinter sich zuzog, saß
Alakar Verna Albrecht allein gegenüber und versuchte angestrengt, sie nicht
anzuschauen.
     
    »Warum geht sie?« fragte Verna, obwohl
sie wußte, daß die Frage an Alakar Macodys unmöbliertem Gesicht scheitern und
in ihren Mund zurückkehren würde. Aber diesmal enttäuschte er sie.
    »Sie wollte mir ein Geschenk machen«,
sagte er, »und ich habe das Geschenk nicht angenommen. Aber ich glaube, das
kennt sie schon.«
    Ich sitze in einem Traum, dachte Verna.
Nur ist es keiner dieser Träume, aus denen man irgendwann aufwacht. Es ist der
wahre Traum, und es muß daran liegen, daß sich alles geändert hat. Nicht nur
mein Leben, das ganze Leben. Alles ist anders geworden, und ich habe es nicht
gemerkt. Es mußte an Alice liegen, an dem vermaledeiten Stiefelknecht in Alices
Kopf. Ich glaube nicht, daß ich seitdem wach geworden bin, ich habe die Jahre
verschlafen.
    »Es tut mir leid«, sagte Alakar Macody
und schaute entschuldigend die Tischplatte an, »das alles.«
    »Warum schlafen Sie dann mit ihr? Tut
sie Ihnen auch leid?«
    »Ich glaube nicht. Ich glaube, weil es
mir Spaß macht.«
    Ah, dachte Verna, ich weiß eine Menge
über Spaß, seit Izzy weiß ich, was Spaß bedeutet. Aber ich werde es dir nicht
verraten, und wenn du mich schlägst, kein Wort.
    »Habe ich das richtig verstanden«,
sagte sie, »daß diese Teilchenkandidatin auch mit mir schlafen will? Das heißt
mit Ihnen und mir? Eventuell sogar gemeinsam?«
    Er zuckte die Schultern und sagte: »Ich
glaube schon. Aber es hat Gründe.«
    »Welche?«
    Sag schon, dachte sie, sag, daß sie
weiß, daß du mich willst. Daß sie mich dir erlaubt, sofern du mich nur teilst. Daß
ich Sie will, Verna. Das will ich hören. Mit weniger bin ich auf keinen
Fall zufrieden.
    »Sie kann Sie ja schlecht aufessen«,
sagte Alakar Macody, »jedenfalls würde meine Mutter das so sehen. Sie ist
Analytikerin. Und weil Vera Sie nicht aufessen kann, muß sie Sie...
penetrieren? Ist das das Wort?«
    »Ihre Mutter ist eine Idiotin«, sagte
Verna. »Ich nehme an, Sie haben unter ihr gelitten?«
    »Nicht sonderlich.«
    »Dann haben Sie sich womöglich ein Leben
lang von ihr befreit. Glauben Sie mir, darin kenne ich mich aus. Ein ganzes
Leben lang Absage, das ist es, was Therapie bedeutet. Aber bloß keinen Muckser
tun.«
    »Ich war nie in Therapie.«
    »Ich auch nicht«, log Verna, »aber ich
hatte auch keine therapeutische Mutter.«
    Nebenan rann Wasser durch die Rohre in
der Wand, und sie hörte Vera Albert unter der Dusche reden. Wahrscheinlich
erklärte sie ihrem armen Körper, was vorgefallen war.
    »Therapie macht es nur schlimmer. Dinge
werden einfacher, wenn man sie nicht erklärt«, sagte sie, »jedenfalls hat Izzy
Stern das behauptet. Er war so schlau wie Ihre Mutter.«
    »Dinge werden häßlicher, wenn man sie
nicht erklärt«, verbesserte Alakar sie. »Worte machen sie nur schöner.«
    »Alles bleibt, wie es ist«, sagte
Verna. »Wie Vera drüben in der Dusche. Bestimmt schämt sie sich schon.«
    »Glaube ich nicht«, sagte Alakar
Macody, »sie ist mutiger, als Sie denken. Sie findet nichts abscheulich, was
man tut. Deshalb kann sie es sich auch leisten, nichts abscheulich zu finden,
was sie selbst tut. Sie sieht morgens in den Spiegel. Sie hat Abscheu verlernt.
Sie kennt das alles.

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