Die Endzeit Chroniken - Nemesis (German Edition)
Höhepunkt des Dramas verstummt, so dass Cassidy sie ohne Probleme verstand. »Felicia bevorzugt Konversation und List gegenüber roher Gewalt. Sie wurde rekrutiert, als sie geheime Dokumente aus dem Tempel stehlen wollte.«
»Aber Faith hat uns erzählt, dass ihr alle zum Kämpfen gedrillt werdet?«
Jade zog die Mundwinkel nach oben und musste offenbar über die Aussagen der Amazone lachen.
»Es gibt viele Arten, einen Kampf zu gewinnen. Felicia beendet ein Gefecht am liebsten, bevor du es überhaupt beginnen kannst. Wenn du ihr gegenüberstehst, achte auf ihre Ringe. Sie trägt drei. Zwei davon sind mit Giftnadeln bestückt.«
In diesem Augenblick schnellte Felicias Hand unter ihrer schwarzen Kutte hervor und griff nach dem rechten Unterarm des Springers. Cassidy konnte zwei silbern glänzende Ringe erkennen. Wenigstens einer davon musste laut Jade vergiftet sein.
»Jetzt hat sie ihn«, hauchte Jade.
Nur einen Wimpernschlag später lösten sich die Muskeln des Mannes, sein Kopf fiel in seinen Nacken und seine Füße drohten, von der Brüstung zu rutschen. Die Menge raunte erneut, einige schrien gar panisch auf, als Felicia um ein Haar über die rostige Absperrung gerissen worden wäre. Sie drehte den Kopf in Richtung des Treppenhauses und rief etwas in die Tür hinein. Im nächsten Moment kamen ihr Männer mit schusssicheren Westen und schwarzen Baretts auf den Köpfen zu Hilfe, die sie und den Springer hinaufzogen. Er fiel vor Felicia auf die Knie, wirkte aber nicht, als wolle er um Vergebung bitten. Sie half ihm auf die Beine und ließ ihn mit einer Hand auf der Schulter von ihren Soldaten den Turm hinabführen. Ehe sie selbst in dem dunklen Durchgang verschwand, blickte sie in die klatschende Menge unter ihr und setzte ihre schwarze Kapuze wieder auf.
»Sie weiß, dass ich hier bin«, sagte Jade. »Na los. Hören wir uns mal an, was sein Problem ist.«
Die Menschentraube löste sich allmählich auf, und als sie an dem Wasserturm eintrafen, waren sie fast allein. Ein Mann und eine Frau in Kampfmonturen, die denen von Jades Elitekommando aus Brackwood glichen, bewachten mit verschränkten Armen die hölzerne Doppeltür und hielten Schaulustige fern. Sie nickten Jade respektvoll zu und ignorierten Cassidy dabei vollkommen. Bevor sie eintreten konnten, kam ihnen der Springer entgegen, der von seinen beiden Rettern hinauseskortiert wurde. Cassidy vermochte sein verzweifeltes Schniefen deutlich zu hören. Er war Mitte vierzig und wirkte weder abgemagert noch krank. Darum wunderte es sie umso mehr, was so jemanden dazu brachte, sich selbst von einem so hohen Turm stürzen zu wollen.
Im schattigen Inneren war Felicia in ihrem schwarzen Umhang kaum zu erkennen. Sie stand mit dem Rücken zum Eingang und wartete, bis ihre Männer mit dem Springer außer Hörweite waren, ehe sie sich umdrehte und erneut ihre Kapuze zurückwarf und sich ihres hauchdünnen Seidenmantels entledigte. Darunter trug sie ein enges Lederkorsett, das sehr dem von Faith ähnelte, jedoch mit kleinen Ampullen und Fläschchen anstelle von Wurfmessern bestückt war.
»Die Neces haben seine Kinder geraubt. Dennis, neun Jahre alt, und Nina, elf Jahre«, hauchte sie ihnen entgegen.
Ihre Stimme klang melancholisch, als fühlte sie sich machtlos, und dennoch mit einer säuselnden Melodie, die Cassidy schon bei Faith und Jade aufgefallen war. Sie zog ihr Mundtuch herunter und gab den Blick auf ihr weißes Gesicht frei. Ihr rabenschwarzes Haar schimmerte im hereinfallenden Sonnenlicht wie Ozeanwellen bei Nacht.
»So ein Unsinn«, wetterte Jade taktlos zurück. »Die Neces sind Killer und viel zu dämlich für Entführungen.«
»Wann ist dir das letzte Mal einer von ihnen begegnet?« Felicia schüttelte mit dem Kopf. »So manches hat sich geändert, seit du zu diesen Rangern aufgebrochen bist.«
»Von wo sind die Kinder verschwunden? Aus Alexandria?«
»Von einem der Höfe. Bei einem Schulausflug.«
Jade biss sich zerknirscht auf die Unterlippe.
»Hattet ihr nicht einen Plan, um das Problem ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen?«, setzte Felicia nach.
»Ich arbeite daran!«, fauchte Jade zurück.
»Spar dir deinen Zorn für Torus, wenn du ihm wieder gegenüberstehst!«, entgegnete ihr Felicia grimmig. Mit einem andächtigen Nicken fügte sie etwas gemäßigter hinzu: »Du weißt, dass ich auf deiner Seite stehe.«
Cassidy hatte bisher still im Schatten gestanden und wirkte irritiert, als sich Jade kopfschüttelnd die Stirn rieb und
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