Die Endzeit Chroniken - Nemesis (German Edition)
dass ihr Sohn dorthin gebracht worden war. »Was ist das eigentlich für ein Ort?«
»Die Schulstadt der Sicarii«, antwortete Jade. »Das Imperium kann es sich nicht leisten, in jeder Provinz eine effiziente Schule zu unterhalten, also haben wir das Schulsystem zentralisiert. Alle Kinder im entsprechenden Alter verbringen jedes Jahr zehn Monate dort.« Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Außerdem haben wir Bacchae dort unserer Hauptquartier. Der Themis-Tempel dürfte Angels Ziel sein.« Seufzend rieb sie sich über die Schläfen. »Sie hat ja keine Ahnung, worauf sie sich da einlässt. Die werden sie in der Luft zerreißen!«
Cassidy blickte sie schockiert an.
»Bildlich gesprochen«, beruhigte Jade sie mit einem zynischen Blinzeln. Kurz darauf wurde sie wieder ernst und runzelte die Stirn. »Habt ihr hier sonst noch mit jemandem Kontakt gehabt?«
Cassidy erinnerte sich sofort an Betty, die sie als Erste auf Nadim aufmerksam gemacht hatte. Sie hielt Angel offenbar für eine Bacchae und hatte dementsprechend konspirativ geredet, woraufhin Jade entschied, der Schwätzerin die Daumenschrauben anzulegen. Mit Hilfe ihrer Ellenbogen bahnte sie sich einen Weg durch die Menge auf dem lauten Marktplatz, auf dem ihr furchteinflößender Status den beiden keinen Vorteil einräumte.
Ganz im Gegenteil. Die Menschen schienen auf einmal von allen Seiten auf den Basar zu strömen und sich gegenseitig auf die Füße zu treten. Als Jade schließlich kaum noch vorankam, ging ein Raunen durch die Menge und viele zeigten auf den alten Wasserturm.
Am Rande des vier Stockwerke hohen Turms, dessen Größe aufgrund der ansonsten höchstens zweistöckigen Gebäude schwer einzuschätzen war, klammerte sich ein Mann von außen an das eiserne Geländer, dessen grüne Farbe fast vollständig abgeblättert war.
»Hat der denn keine Angst, dass er da runterfällt?«, fragte Cassidy und verdeutlichte damit einmal mehr ihre Naivität, die ihr auch wochenlange Überlebenskämpfe in der Endzeitsteppe nicht genommen hatten.
»Das ist doch genau seine Absicht«, murmelte Jade in einer Mischung aus Frust und Teilnahmslosigkeit.
»Aber warum?«
»Sowas kommt nach unseren Eroberungen schon mal vor«, erklärte sie beiläufig. »Wenigstens versucht er, nur sich selbst zu schaden. Aber nach diesem Drama wird Arnac erst recht wochenlang in aller Munde sein.«
»Willst du nicht was dagegen unternehmen?«, forderte Cassidy sie auf.
»Cor Decat steht unter Kriegsrecht. Das ist Sache der Legion«, erwiderte Jade. »Außerdem hab ich schon genug Aufsehen erregt.«
Kaum hatte sie den Satz beendet, ging ein weiteres Raunen durch die Menge. Neben dem Springer war eine von Kopf bis Fuß in schwarze Kleider gehüllte Gestalt aufgetaucht, die große Ähnlichkeiten mit Mönchen aus dem Mittelalter besaß.
»Wer ist das?«, fragte Cassidy.
Jade verschränkte die Arme vor ihrer Brust und blinzelte überrascht den Turm hinauf. Die verhüllte Figur stellte sich an das Geländer, hielt ein paar Meter Abstand zu dem eingeschüchterten Mann und warf ihre Kapuze auf den Rücken. Zum Vorschein kam die helle Stirn einer Frau Anfang dreißig mit rabenschwarzem Haar, das ihr bis zu den Schultern reichte und eine Weile brauchte, um sich von dem engen Gefängnis der Kapuze zu erholen und vollends zu entfalten. Nase, Mund und Kinn waren von einem schwarzen Tuch bedeckt, dass sie um den Hals gebunden hatte.
Die Menge begann zu erzählen und zu tuscheln. Um sich herum hörte Cassidy die unterschiedlichsten Mutmaßungen über die Identität der vermummten Gestalt.
»Das ist Felicia«, hauchte Jade. »Eine von uns.«
Anschließend zeigte sie auf den Turm als wollte sie, dass sich das Mädchen auf den Auftritt konzentrierte. Gebannt beobachteten sie zusammen mit der versammelten Bevölkerung, wie sich Felicia scheinbar unbeteiligt am Geländer festhielt und auf die Menge hinabblickte. Cassidy hatte das Gefühl, sie könne unter dem schwarzen Mundtuch sehen, wie sich ihre Lippen bewegten, doch das war auf die Distanz von knapp dreißig Metern Luftlinie pure Illusion. Immerhin schien der Springer auf sie zu reagieren. Zunächst schüttelte er mit dem Kopf und löste einen Fuß vom Boden, als wolle er damit drohen zu springen, sollte sie sich nicht zurückziehen. Als Felicia jedoch nicht locker ließ, willigte er offenbar in ein Gespräch ein und erlaubte ihr, einen Schritt näherzukommen.
»Sie ist anders als Faith oder ich«, flüsterte Jade. Die Menge war auf dem
Weitere Kostenlose Bücher